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Heimatbote 2012_Online Version - Nadesch

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Szeklerdorf, rotblau, und ich rupfte gleich eine ganze Hand voll ab.<br />

Sie waren aber sauer und hart. Die Frühpflaumen am Dorfschild von<br />

Pipe waren süß, aber allesamt verwurmt.<br />

Auf der halben Strecke zum Dorfbrunnen vor der Kirche, die Szekler<br />

in Pipe waren durchwegs unitarisch, hüpften drei Buben auf dem Weg<br />

herum. Sie waren wie ich auch barfuß. Alle Kinder liefen im Sommer<br />

barfuß herum, mit Ausnahme in der Kirche, versteht sich. Zwei von<br />

ihnen hatten „Korkpilzmützen“, eine Spezialität der Szekler, auf dem<br />

Kopf, der dritte war kahl geschoren, und seine Kopfhaut war von der<br />

Sonne ganz rot verbrannt. Im Sommer waren fast alle Buben kahl<br />

geschoren, ob Sachsen, Walachen oder Szekler, alle, die<br />

Zigeunerbuben sowieso. Ich selbst hatte seit einiger Zeit immer ein<br />

Büschel auf der Stirn. „Wie ein Hitlerjunge!“ hatte Steffen Hans<br />

gesagt, als er seine Stutzmaschine absetzte. Der Junge mit der roten<br />

Kopfhaut hatte ein Stück Brot und durchwachsenen Speck in der Hand<br />

und bot mir stumm davon an. Rumänisch oder Sächsisch konnte er<br />

sicher nicht, konnte aber auch nicht damit rechnen, daß ich Ungarisch<br />

könne. Während ich nach meinem Taschenmesser griff, bemerkte ich,<br />

daß seine Hände graubraun vor Dreck glänzten. Auch er betrachtete<br />

jetzt seine Hände, legte das Brot und den Speck auf einen Stein neben<br />

dem Straßengraben und begann sich in einem Rinnsal zu waschen. In<br />

dem Augenblick schnappte ein streunender Hund nach dem Speck und<br />

floh mit eingezogenem Schwanz davon. Die drei Buben warfen<br />

fluchend mit Steinen hinter ihm her und hatten ihr ganzes Interesse an<br />

mir verloren. „Hast Du Durst? Willst du ein Töpfchen Wasser?“ Am<br />

Brunnen schöpfte ein großer und starker Mann einen Eimer Wasser<br />

und sprach Hochdeutsch mit mir. Gierig trank ich das Töpfchen aus<br />

und bemerkte, daß der große Mann ein riesiges Kinn hatte. Ein so<br />

großes Kinn hatte ich bisher noch nicht gesehen. Seine wulstige<br />

Unterlippe hing tief nach unten.<br />

Viele Jahre später, als ich zum ersten Mal von der „Habsburgerlippe“<br />

erfuhr, erinnerte ich mich wieder an den Mann. „Wie heißt du?“ „Ich<br />

heiße Karl Scheerer, aber die Leute sagen Ungar-Karli zu mir.“ „Ach,<br />

von meinem Freund und Amtsbruder Ungar bist du ein Enkel? Ich bin<br />

der Pfarrer von Pipe. Komm mit mir!“ Auf der Veranda des Pfarrhofes<br />

saßen an einem Tisch eine große, etwas traurig blickende Frau und<br />

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