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124 DAMALS<br />

cpt. kirk &.<br />

WO fing es an?<br />

»Eigentlich waren nur zwei Bands gemeint«, bemerkt Tobias<br />

Levin. Das Zitat stammt aus »Hamburg Calling – Musik<br />

aus einer Hafenstadt«, ausgestrahlt Mitte Dezember 2010<br />

im NDR-Fernsehen. Oliver Schwabes 90-minütige Collage<br />

aus Archiv-Material sowie aktuellen Kommentaren und<br />

Anekdoten von Zeitgenossen wie Horst Fascher, Dendemann<br />

und Kristof Schreuf erzählt die Geschichte der Popmusik<br />

in Hamburg. Neben Superstars wie The Beatles und Udo<br />

Lindenberg und legendären Clubs wie Kaiserkeller und Star<br />

Club wird hier auch der sogenannten Hamburger Schule<br />

viel Platz eingeräumt.<br />

Levins äußerung bezieht sich auf einen Artikel in der<br />

taz, der 1992 anlässlich der Veröff -<br />

entlichung zweier Alben erschien:<br />

Blumfelds »Ich-Maschine« und<br />

»Reformhölle« von Cpt. Kirk &.<br />

Deren auff älligstes Merkmal lag<br />

– neben der spannenden Musik<br />

und dem geistreichen Artwork –<br />

in dem neuartigen Umgang mit<br />

der deutschen Sprache als Basis für<br />

Songtexte, dem intensiven Tonfall,<br />

mit dem sie vorgetragen wurden,<br />

» hamBurger<br />

schule«:<br />

Wappen<br />

an der stirn<br />

Vor 20 Jahren begann man unter dem Begriff »Hamburger<br />

Schule« eine Handvoll in Hamburg ansässiger Bands zusammenzufassen,<br />

die stilistisch kaum etwas miteinander zu tun hatten.<br />

Der Begriff klang zwar interessant, verkam aber schnell zum<br />

entleerten Etikett. Denn wer genauer hinschaute, musste sich<br />

fragen: Was haben Brüllen außer Wohnort und Anfangsbuchstaben<br />

mit Bernd Begemann gemein? Und wie groß ist die musikalische<br />

Schnittmenge zwischen Gruppen wie Die Braut Haut<br />

Ins Auge und Blumfeld? Oder Tocotronic und Ostzonensuppenwürfelmachenkrebs?<br />

Oder Huah! und Cpt. Kirk &.?<br />

Doch sutje, Diggi, sutje. Text: Michele Avantario.<br />

und darin, was in ihnen verhandelt wurde: Psychologie und<br />

Wirtschaft, Depression und Infl ation, das Politische im Privaten<br />

und andersherum – nicht gerade die Lieblingsthemen<br />

deutschsprachiger Song-Texter nach 1945. In Anlehnung an<br />

die »Frankfurter Schule« um Adorno prägte der Journalist<br />

Thomas Groß in seinem taz-Text einen von Volker Backes<br />

in dessen Fanzine What’s That Noise eingeführten Begriff :<br />

»Hamburger Schule«. »Ein journalistischer Hit«, wie Levin<br />

es nennt.<br />

Was ist passiert?<br />

Katerstimmung. Punk ist längst Geschichte, NDW als Ramschware<br />

im Schlussverkauf gelandet. In Hamburg treff en<br />

Mitte/Ende der Achtziger ein paar von der »Do It Yourself«-<br />

Idee beseelte Musikinteressierte nacheinander aufeinander.<br />

Leute aus Vororten, anderen Städten, vom platten Land<br />

oder aus der Provinz – und ein paar Hamburger. Mit Pascal<br />

Fuhlbrügge und Carol von Rautenkranz bildet sich in diesen<br />

Jahren ein »power couple«, wie es Sänger Kristof Schreuf in<br />

den Linernotes zu den Kolossale-Jugend-ReReleases (2005)<br />

bezeichnet.<br />

Fuhlbrügge und Rautenkranz organisieren Konzerte für<br />

lokale Bands, gründen einen Musikverlag und schließlich<br />

ein kleines Label mit dem großspurigen Namen L’Age D’Or<br />

(Das goldene Zeitalter), das fortan neben Alfred Hilsbergs<br />

ZickZack und What’s So Funny About zur wichtigsten Adresse<br />

für eigensinnige Bands aus Hamburg avanciert. Vorher,<br />

nachher, nebenan und um die Ecke: Die Goldenen Zitronen<br />

verabschieden sich vom Fun-Punk. Cpt. Kirk &. veröff entlichen<br />

»Stand rotes Madrid« via Hilsberg. Die Antwort<br />

debütieren bei RCA / BMG Ariola. Jochen Distelmeyer,<br />

Bernadette Hengst, Frank Spilker und Walding alias Knarf<br />

Rellöm bringen ihre Bands in Stellung.<br />

Was wenige Jahre später zur Keimzelle einer Schule verkittet<br />

wird, ist zu dieser Zeit ein loser Haufen von kreativen<br />

Musik-Akteuren mit ungewöhnlichen Ideen. Man kennt und<br />

mag sich oder auch nicht, singt in der gleichen Sprache und<br />

begegnet sich zufällig oder absichtlich in Kneipen zwischen<br />

einer noch nicht gentrifi zierten Sternschanze und dem als<br />

Ausgehviertel wieder erwachenden St. Pauli. Ansonsten:<br />

Wat dem eenen sin Elvis und die SPD, sind dem annern sin<br />

Blixa und die schwarze Fahne.<br />

»Wir teilten uns Proberäume, liehen Verstärker hin und<br />

her«, erzählt Bernadette Hengst heute. »Aber es gab große<br />

inhaltliche und musikalische Unterschiede zwischen den<br />

Bands.« Einige davon liegen auf der Hand: Während Künstler<br />

und Gruppen wie Rocko Schamoni, Huah! und Die Braut<br />

Haut Ins Auge mit einiger Ironie Rock’n’Roll, Sixties-Pop<br />

oder Schlager zitieren und dabei Krieg oder ein stinkendes<br />

Bett besingen (Stichwort: Subversion), greifen Kolossale<br />

Jugend und Cpt. Kirk &. per Wort und Ton komplex, aber<br />

direkt durchs Ohr ins Hirn. Derweil zwischen Spaß und<br />

Ernst vermittelnd: kampferprobte Post-Punks wie die Zitronen<br />

und geniale Nerds wie die Suppenwürfel.<br />

1989/90 erscheinen mit »Dies ist Hamburg (nicht Boston)«<br />

und »Geräusche für die 90er« die jeweiligen Bestandsaufnahmen<br />

von L’Age D’Or und den Hilsberg-Labels. Dass<br />

unter den fast 50 Bands nur eine Handvoll in der immer<br />

noch exotisch anmutenden Pop-Sprache »Deutsch« textet,<br />

fällt nicht erst auf den zweiten Blick auf. Ein Jahr danach,<br />

Auftritt Blumfeld: Die Ausgewogenheit zwischen Wohlklang<br />

und Disharmonie, vertrauten Worten und verwirrenden<br />

Formulierungen, eine treibende Band und dieser charismatische<br />

Front-Typ da – das alles öff net neue Räume, Augen<br />

und Ohren. Mit der landesweit fast ruckartig einsetzenden

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