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078 MORGEN<br />
aNgeLIka exPReSS<br />
»DIE DUNKLE SEITE DEr MAcHT«<br />
PENG MUSIK / CARGO<br />
ScHLInGe / StReSS / POweR-POP<br />
Angelika Express sind<br />
Robert Drakogiannakis<br />
und Band. Die Besetzung<br />
wechselt bei Letzterer,<br />
die Vision bleibt erhalten.<br />
Auf dem zweiten Album<br />
nach dem runderneuerten<br />
Comeback »Goldener Trash« häuft sich jene<br />
Vision erneut fast zu ihrer eigenen Vollendung<br />
auf. Der Power-Pop von Angelika Express war<br />
dabei schon immer – im besten Sinne – Stress.<br />
Hoch getaktete Beats, diverse Ereignisse in<br />
jedem Song, ständig gute Textzeilen, die man<br />
mitkriegen muss. »Die dunkle Seite der Macht«<br />
besitzt sogar derart viel Interessantheit, dass es<br />
mitunter erschöpft und man sich nach einem<br />
Filler oder einer leicht verschnarchten Ballade<br />
sehnt. Kommt aber nicht! Nichts verpassen!<br />
Highlight auf jeden Fall der Song über den steilen<br />
Zahn aus der Union und wie das lyrische Ich<br />
ihm verfällt. Mit der brillanten Hookline »die<br />
Schlinge zieht sich zu / CDUUUUUU!«. Ebenso<br />
erwähnenswert das Stück mit Aydo (Ken, Ex-<br />
Blackmail) am Gesang. Und so vieles mehr. Bis<br />
auf das fehlende Verschnaufen kann man dem<br />
Album nichts vorwerfen. Vielmehr muss man es<br />
preisen für seinen irre dichten Glanz.<br />
Linus Volkmann<br />
BoSSe »WArTESAAL«<br />
UNIVERSAL<br />
ZunGe / antI-GeRManISt / POPROck<br />
Zuletzt wurde Alleskönner<br />
Axel Bosse bei <strong>Intro</strong> ja gern<br />
vom linken Flügel mit Füßen<br />
getreten. Zeit, dass in<br />
die Betrachtung auch mal<br />
ein anderer Wind kommt:<br />
Sein jüngstes Ergebnis<br />
»Wartesaal« kommt dabei musikalisch offener<br />
als die Vorgänger. Mehr elektronische Spielereien,<br />
ein Flügelhorn, insgesamt weniger Rock<br />
und mehr Pop. Trotzdem ist es offensichtlich,<br />
dass sich Bosse mittlerweile viel mehr traut.<br />
»Roboterbeine« mit seinem fluffigen Beat ergibt<br />
sogar einen Song für die Tanzfläche. Aber auch<br />
die ruhigeren Töne, vor allem »Nächsten Sommer«,<br />
treffen. An Bosses Art zu texten hat sich<br />
nichts geändert. Eben genau, wie er auch redet:<br />
offen, direkt und das Herz auf der Zunge. Dass<br />
das nicht jedem Germanistik-Studenten auf<br />
der Suche nach der perfekten Metapher zusagt,<br />
wird ihn dabei sicher wenig interessieren. Die<br />
Idee, sein »Frankfurt/Oder« als Duett mit Anna<br />
Loos neu aufzunehmen, ist dabei allerdings<br />
Geschmackssache – zumal sich das Remake<br />
einen Takt schneller als das intime Original<br />
eingespielt findet.<br />
David Winter<br />
aNNa CaLVI »ANNA cALVI«<br />
DOMINO / INDIGO<br />
DRaMa / GewaLtIG /<br />
SOuLInDIeJaZZPOP<br />
Anna Calvi ist keine Wiedergeburt<br />
von Jimi Hendrix.<br />
Aber das wäre ja auch<br />
zu viel verlangt. Definitiv<br />
ist sie aber auch sehr weit<br />
entfernt von der typischen<br />
Mädchen-Gitarre-<br />
Jammer-Hauch-Sehnsuchts-Kombi, die seit<br />
geraumer Zeit immer mal mehr, mal weniger<br />
angesagt ist. Wenn sie singt, ist auch was abseits<br />
dieses Klischees denkbar: Mal glaubt man, sie in<br />
einer verrauchten Jazzkneipe auf der Bühne zu<br />
beobachten, mal driftet sie fast in Stadionrocksphären<br />
ab, im nächsten Song könnte sie das<br />
Hippiemädchen sein, das sich von Hendrix ein<br />
paar Tricks mit der Gitarre abgeguckt hat, dann<br />
klingt sie plötzlich glatt wie eine Hollywood-<br />
Grande-Dame aus den 40ern oder Edith Piafs<br />
britische Enkelin. Ihre Stimme lässt sich wohl<br />
am besten mit »voluminös« beschreiben. Verletzlich,<br />
zart oder zurückhaltend ist auf dieser<br />
Platte nichts, von Understatement hält die Frau<br />
dankenswerterweise nicht viel – dafür aber<br />
von Düsternis und großer Dramatik, gepaart<br />
mit eingängig romantischem Pop. Und wenn<br />
sie verspricht: »I’ll Be Your Man«, weiß man:<br />
Sie wird dieses Versprechen einhalten. Zeitlos,<br />
stark und unglaublich dramatisch!<br />
Aida Baghernejad<br />
CoLd waR kIdS »MINE IS yoUrS«<br />
COOP / UNIVERSAL<br />
wanDeLBaR / MeGa / POP-kItScH<br />
Die Cold War Kids aus Kalifornien<br />
sind gelinde gesagt<br />
eine wandlungsfähige<br />
Band. 2006 als Net-Hype<br />
in die Wahrnehmung der<br />
konzentrierten Nerd-Cliquen<br />
katapultiert, sind<br />
jene Novelty-Vorschüsse natürlich längst aufgebraucht.<br />
Da muss man sich was einfallen lassen,<br />
will man weiterhin als Indie-Act seine Kreise<br />
ziehen. Die Cold War Kids wollen es mit »Mine<br />
Is Yours« nun auf jeden Fall mal richtig wissen.<br />
Oder, kann ja auch sein, entdeckten zufällig ihre<br />
Lust an der ganz großen Leinwand und das The-<br />
Killers-Gen. Vorbei die Tage und Songs, in denen<br />
man patchworkte und auch mal Enden ins Leere<br />
laufen ließ. Songs wie »Royal Blue« entdecken<br />
lustvoll das Fanfarenhafte, und bei Stücken wie<br />
»Finally Begin« oder »Out Of The Wilderness«<br />
ist man als Hörer fast ein bisschen pikiert ob des<br />
so schamlosen Pop-Kitschs. Genau, für Kitsch<br />
muss man wirklich eine Schwäche haben, sonst<br />
wendet man sich letztlich mit Grausen von der<br />
Neuerfindung der vier verschmitzten Typen ab.<br />
Hat man eine solche aber, findet man hier ein<br />
Stück weit Offenbarung.<br />
Linus Volkmann<br />
CoNSoLe »HErSELf«<br />
DISKO B / INDIGO<br />
a<strong>MB</strong>Ient / PFIFF / HÖHenFänGeR<br />
Seltsam unaufgeregt vollzog<br />
sich das Release des<br />
neuen Console-Albums.<br />
Dabei hat die Mensch gewordene<br />
Superbrille Martin<br />
Gretschmann doch mit<br />
The Notwist, dem waghalsigen<br />
13&God-Projekt und den beiden Console-<br />
Alben »Rocket In The Pocket« und »Reset The<br />
Preset« die kollektive DNA der Indie-Elektronik-<br />
Hörer hierzulande tüchtig mitdefiniert. Mehr<br />
Nachhall als vorfreudiges Rauschen hat »Herself«<br />
verdient, denn nach dem schwierigen,<br />
komplexen, fast unhörbaren Vorgängeralbum<br />
»Mono« hissen Gretschmann und Sängerin Miriam<br />
Osterrieder wieder die Pop-Fahne. Sie weht<br />
über knackigen Ambientstücken, wie sie der ja<br />
auch wieder frisch am Start erschienene Aphex<br />
Twin auf seinen teuflischen »Selected Ambient<br />
Works Vol. 2« nicht besser hätte erfinden können.<br />
Die Tiefen werden wummernd ausgelotet,<br />
die Höhen eingefangen. Willkommen zurück im<br />
Club: Schön für uns, dass Martin Gretschmann<br />
wieder aus der »Mono«-Höhle rausgekrochen<br />
ist, um wild mit den Armen rudernd knallhart<br />
schöne Tracks abzuliefern.<br />
Marco Fuchs<br />
tHe deCemBeRIStS<br />
»THE KINg IS DEAD«<br />
ROUGH TRADE / BEGGARS / INDIGO<br />
weRte / tRaDItIOnen / cOuntRy<br />
Auch wenn das androgyne<br />
Chamäleon-Versprechen<br />
von Pop nie Sache der Decemberists<br />
war, besticht<br />
ihr ansehnlicher Backkatalog<br />
durch das eine oder<br />
andere hehre, aus Rock-<br />
Konventionen ausbrechende und durchaus<br />
gelungene Experiment. Für ihr sechstes Album<br />
hat die Band um Colin Meloy all das aber beiseitegeschoben,<br />
um sich ganz und gar dem Country<br />
und Folk ihres heimatlichen Landstrichs zu<br />
widmen. »The King Is Dead« ist die mit Abstand<br />
klassischste Platte der Decemberists, durchaus<br />
selbstbewusst, aber unverbrämt wertkonservativ.<br />
Wem das oberflächlich betrachtet nicht<br />
schon zu langweilig ist, der wird mit zehn neuen<br />
Songs belohnt, die, hochversiert arrangiert, die<br />
alten Zeiten feiern und mit Fidel und Banjo<br />
die nimmermüden Geschichten von Hügeln,<br />
Weite und Holzveranda aufleben lassen. Meloy<br />
lässt sich dabei gesanglich kongenial von Gillian<br />
Welch unterstützen, die schon den Coen-<br />
Brüdern für »O Brother, Where Art Thou«<br />
genügend typisches Country-Flair schenkte.<br />
ähnlich gingen auch die Decemberists an ihr<br />
neues Album: plakativ, aber mit Tiefe und Passion,<br />
die hier letztlich gewinnen.<br />
Christian Steinbrink