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schen Teil von »Inglourious Basterds« gemacht. Für Hanekes<br />
»Das weiße Band« hatte sie ein Jahr zuvor sehr viele<br />
Kinder und Jugendliche gecastet und dadurch schon Leute<br />
im Auge. So haben wir die vier Hauptdarsteller Constantin<br />
von Jascheroff, Joel Basman, Frederick Lau und Martin<br />
Kiefer zusammen gefunden, die alle schon relativ viele<br />
Filme gemacht haben, dafür, dass sie noch so jung sind.<br />
Die Zusammenarbeit war insofern sensationell, als dass<br />
sie die Energie und den Mut zur Brechung von Normen<br />
hatten – und gleichzeitig eine Routine, das heißt, im Unterschied<br />
zu unerfahrenen Schauspielern und Laien nicht<br />
nur Emotionen spielen konnten, sondern außerdem viel<br />
technische Aufmerksamkeit mitbrachten.<br />
Der Film bemüht sich um authentizität. wie ist das dann<br />
am Set, wenn man weiß, dass die dargestellte Gewalt auf<br />
realen Begebenheiten basiert?<br />
Am schwierigsten war es eigentlich für Joel Basman, der die<br />
Rolle des Opfers gespielt hat, vor allem in den letzten 20<br />
Minuten des Films, die beim Dreh auf vier Tage ausgedehnt<br />
wurden. Der musste das öfter spielen, das ging ihm schon<br />
wirklich sehr an die Nieren ...<br />
weißt du denn, wie sehr sich die Schauspieler mit den<br />
tatsächlichen Zuständen im Jugendstrafvollzug in Vorbereitung<br />
auf den Film befasst haben?<br />
Alle haben irgendwelche Quellen angezapft, aber die meiste<br />
Recherche ging auf mich. Die Dreharbeiten waren atmosphärisch<br />
allerdings unheimlich nah an der Wirklichkeit,<br />
weil uns ein echtes Gefängnis zur Verfügung stand, das ein<br />
Jahr vor den Dreharbeiten stillgelegt worden war und in<br />
dem wir uns fünf Wochen eingenistet haben – die ehemalige<br />
JVA in Landshut, nördlich von München. Die ganzen<br />
Requisiten aus »Picco«, die Spinde und die Betten, das sind<br />
alles echte Einrichtungsgegenstände. Und auch die Kritzeleien<br />
am Anfang des Films, die sind alle echt, das haben<br />
wir dokumentarisch abgefilmt. Wir haben in Zellen unter<br />
den Linoleumböden alte Rasierklingen et cetera gefunden.<br />
waren die JVas und Insassen offen für deine Recherche?<br />
<strong>Als</strong> ich die JVAs besucht habe, war ich mir noch unsicher, ob<br />
ich wirklich auf Siegburg Bezug nehmen werde. Und hätte<br />
ich das erwähnt, hätten wohl alle sofort Angst gehabt. Da<br />
wollte ich mir nicht gleich selbst ein Bein stellen. Ich bin<br />
an die Gefängnisleiter herangetreten und hab gesagt, ich<br />
will einen Film machen über die Realität im deutschen<br />
Jugendknast. Diesbezüglich war die Bereitschaft auch sehr<br />
groß, vor allem in Bayern. Mit den Häftlingen hab ich über<br />
Siegburg gar nicht so viel gesprochen, weil es für mich das<br />
Wichtigste war, das Alltagsleben zu schildern. Jetzt ist es<br />
so, dass der Leiter der JVA Laufen-Lebenau »Picco« seiner<br />
ganzen Belegschaft zu Schulungszwecken zeigen wird,<br />
während die JVA Oldenburg im Rahmen des dortigen Filmfests<br />
eine Aufführung abgelehnt hat. Mit der Begründung,<br />
»Picco« würde nicht die Realität in deutschen Strafanstalten<br />
widerspiegeln. Dazu muss man sagen, dass die Gefängnisse<br />
kaum miteinander zu vergleichen sind. Es gibt keine festen<br />
Regeln im Vollzug, das ist Länder- und Gefängnissache.<br />
Deshalb ist jedes Gefängnis anders.<br />
wichtig für den »Realismus« von »Picco« ist die Sprache<br />
der Häftlinge. Die ist stilisiert, knastsprache, wirkt aber<br />
nicht übertrieben. wie habt ihr die gefunden?<br />
Neben den eigenen Gesprächen mit Häftlingen waren<br />
für mich die Bänder von Klaus Jünschke am wichtigsten.<br />
Jünschke hat ein Buch namens »Pop Shop – Gespräche<br />
mit Jugendlichen in Haft« herausgebracht, das auf den<br />
Abschriften von Aufnahmen aus seiner Gesprächswerkstatt<br />
für jugendliche Häftlinge in der JVA Köln-Ossendorf basiert.<br />
Er hat nichts retuschiert, die Sprache so gelassen, wie sie<br />
war. Jünschke hat mir dann auch die Bänder geschickt.<br />
Die Bänder waren insofern wichtig, weil die Häftlinge mit<br />
mir als Filmer natürlich nicht so geredet haben, wie wenn<br />
sie einfach in der Zelle sind. Dazu kam der Einfluss der<br />
Schauspieler. Frederick Lau zum Beispiel ist so ein Berliner<br />
Straßenkind, und es gab immer wieder Ausdrücke im<br />
Drehbuch, etwa »Spack«, von denen er gesagt hat: »Nee,<br />
das sagt man heute nicht mehr.« Und da haben wir uns gegenseitig<br />
angenähert an die Wirklichkeit, auch die, von der<br />
die Schauspieler herkommen, die zwischen 18 und 20 sind.<br />
und wie bist du auf die Geschichte gekommen?<br />
Es geht um die Frage: Wie wird man vom Opfer zum Mitläufer<br />
und dann letztlich zum Täter? Und die Geschichte von<br />
Kevin, der als »Picco«, als Neuer, in diese Welt kommt und<br />
sich durchschlagen muss, habe ich erfunden. Die Hauptfigur<br />
nimmt den Zuschauer an die Hand. Es ist natürlich auch<br />
Teil des Eklats, dass Kevin zum Täter wird, weil er versucht,<br />
seinen Arsch zu retten. Ich glaube, einige Leute regen sich so<br />
auf, weil sie genau wissen, dass sie selbst genauso handeln<br />
würden. Man muss sich vorstellen, dass diese Mechanismen<br />
von Unterdrückung, Mobbing, Sich-Durchschlagen überall<br />
greifen und nicht nur im Jugendgefängnis, sondern auf der<br />
Arbeit, in der Schule, innerhalb der Familie. Es gibt in der<br />
Regel nur irgendeine moralische Instanz, die dem einen<br />
Riegel vorschiebt, sagt: »So, bis hierhin und nicht weiter.«<br />
am ende ist es Marc, der während der Folter die Institutionskritik<br />
liefert: »wir haben eh nichts zu verlieren und<br />
nichts zu gewinnen.« Sie begehen den Mord also, gerade<br />
weil sie verstanden haben, wie der Hase läuft?<br />
Das ist tatsächlich die Szene, die die Botschaft des Films<br />
zusammenfasst. Warum machen sie das? Weil sie keine<br />
Perspektiven haben. Und der Punkt ist: Wir als Gesellschaft<br />
sind es, die ihnen dieses Stigma auferlegen. Deshalb tragen<br />
wir Mitschuld an diesem Problem und an dieser Eskalation<br />
von Gewalt, auch wenn wir es nicht wahrhaben wollen.<br />
neben der Psychologin und den wärtern spielt auch der<br />
Institutionsleiter bloß eine nebenrolle. er wird bei seinem<br />
kurzauftritt nicht gerade sehr kompetent und fürsorglich<br />
gezeigt, sondern fast schon menschenverachtend.<br />
Natürlich gibt es schlechte Anstaltsleiter und Arschlöcher, so<br />
wie es auch Arschlöcher unter den Wärtern gibt. Ich wollte<br />
aber nicht das Klischee des sadistischen Schließers bedienen,<br />
weil ich die meisten Wärter als engagiert kennengelernt<br />
hab. Nur sind sie unterbesetzt und daher überfordert von<br />
der Rolle als Psychologe, Vaterfigur, Schließer, Arschtreter.<br />
Der sadistische Schließer ist ein ideales Klischee, um dieses<br />
System, das die meisten Gefängnisfilme kritisieren, anhand<br />
einer Figur zu konkretisieren. Aber ich wollte nicht, dass<br />
der Zuschauer aus dem Film rausgeht und sagt: »Ja, das<br />
ist ein Scheißsystem, aber man braucht einfach bessere<br />
Wärter bzw. eine bessere Anstaltsleitung.« Das ist nämlich<br />
genau nicht der Fall. Wenn ich irgendetwas an dem Film<br />
verändern könnte, würde ich den Anstaltsleiter nicht so<br />
negativ zeichnen. Was mir in der Filmszene wichtig war:<br />
Es gibt wirklich diese Führungen in Gefängnissen, bei denen<br />
die Besucher wie im Zoo herumgeführt werden, was<br />
unangenehm für die Häftlinge ist.<br />
Rechnest du mit politischen Reaktionen auf den Film?<br />
Es wäre schade, wenn es nicht zu so was kommt. Ich glaube,<br />
man kann auch mit einer kleinen Nadel einen großen<br />
Elefanten zum Laufen bringen, wenn man richtig zielt.<br />
— PICCO (D 2010, R: PHILIP KOCH; D: CONSTANTIN VON JASCHEROFF, JOEL<br />
BASMAN, FREDERICK LAU, MARTIN KIEFER; 03.02.<br />
HEUTE 049<br />
Foltermord in der JVA<br />
Siegburg<br />
Am 11. November 2006 wurde<br />
der 20-jährige Hermann<br />
H. von Mitgefangenen gefoltert<br />
und in den Selbstmord<br />
getrieben. Aus einem<br />
harmlosen Kartenspiel entwickelte<br />
sich nach späterer<br />
Aussage eines Täters eine eskalierende<br />
Gewalt, während<br />
das Opfer elf Stunden lang<br />
gequält wurde. Der Haupttäter<br />
wurde zu 15 Jahren<br />
Haft plus anschließender<br />
Sicherheitsverwahrung<br />
verurteilt. Die Mittäter zu<br />
14 Jahren Haft und 10 Jahren<br />
Jugendstrafe.<br />
Klaus Jünschke<br />
Das ehemalige RAF-Mitglied<br />
wurde 1977 zu lebenslanger<br />
Haftstrafe verurteilt<br />
und 1988 begnadigt. Seit<br />
1997 gehört er dem Beirat<br />
der JVA Köln-Ossendorf an.<br />
Gemeinsam mit Jörg Hauenstein<br />
und Christiane Ensslin<br />
gab er 2007 den Band<br />
»Pop Shop – Gespräche mit<br />
Jugendlichen in Haft« (Konkret<br />
Literatur Verlag, 238 S.,<br />
EUR 16) heraus. Vom Autor<br />
liegen weitere Publikationen<br />
zum Thema Jugendkriminalität<br />
vor.