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Insassen als auch der Bereich vermerkt ist, in dem er arbeitet.<br />
Kurz darauf lerne ich drei dieser Insassen kennen: Mirko,<br />
Siggi (19) und Sascha (22) sind Teil des Produktionsteams,<br />
das unter der Leitung der Pädagogin Nicole Sonnenbaum<br />
die Videos für Podknast dreht. Alle drei gehören zur sozialtherapeutischen<br />
Abteilung. Diese ist sogenannten »Problemtätern«<br />
vorbehalten, die sich Sexual-, Gewalt- oder<br />
Tötungsdelikten schuldig gemacht haben und bereit sind,<br />
sich mit ihrer Tat auseinanderzusetzen.<br />
Die jungen Männer sind ruhig, locker und freundlich,<br />
als wir ihnen gegenübersitzen. Da sie sich in einer Therapie<br />
befinden, müssen sie keine Anstaltskleidung tragen und<br />
dürfen mehr persönliche Gegenstände in ihren Zellen<br />
haben als andere. <strong>Als</strong> Langzeithäftlinge sind sie allerdings<br />
auch bedeutend länger hier als der Durchschnitt, der nach<br />
gut einem Jahr wieder in Freiheit kommt. Die Höhe ihrer<br />
Strafen lässt die Schwere ihrer Tat erahnen: Mirko und<br />
Sascha verbüßen eine Haftstrafe von jeweils fünf Jahren.<br />
Siggi, ein liebenswerter, schmaler Junge mit Brille und<br />
ruhigem Wesen, der eine Ausbildung zum Gebäudereiniger<br />
macht, verbüßt sogar das vom Gesetzgeber für Jugendliche<br />
vorgesehene Höchstmaß: zehn Jahre. Wenn er in Freiheit<br />
kommt, wird er 27 Jahre alt sein. Die humorvolle Gelassenheit,<br />
mit der er das mitteilt, ist mir ein Rätsel. Nicht<br />
mal die Tatsache, dass er im Laufe seiner Haft in den Erwachsenenvollzug<br />
muss, scheint ihm Sorgen zu bereiten.<br />
Wahrscheinlich haben die dort alle lange Bärte, meint er<br />
dazu nur. Mirko, der schon im Erwachsenenvollzug war,<br />
erklärt, dass es dort sowieso viel ruhiger zugehe als bei<br />
den Jugendlichen. Er sei nur deswegen in Herford, weil die<br />
Ausbildungsmöglichkeiten im Jugendvollzug besser seien.<br />
Sascha hat ebenfalls schon andere Gefängnisse von innen<br />
gesehen. Er findet, dass die Zeit in Herford viel schneller<br />
vergehe als in Wuppertal. Zwischen den verschiedenen<br />
JVAs gibt es viele Unterschiede, genauso ist kein Häftling<br />
wie der andere. Deshalb kann man keine allgemeingültigen<br />
Aussagen über die Haftbedingungen in Deutschland treffen.<br />
Auf die Verhältnisse in Filmen wie »Picco« angesprochen,<br />
reagieren die drei zunächst zurückhaltend. Keiner fühlt sich<br />
einer ständigen Bedrohung durch Mithäftlinge ausgesetzt.<br />
»Schlägereien gibt es natürlich«, räumt Sascha ein. »Aber es<br />
ist nicht so, dass man Angst haben muss, irgendwo hinzugehen.«<br />
Mirko schildert die Situation so: »Es gibt schwarze<br />
Schafe. Und die ganzen Geschichten, die draußen im Umlauf<br />
sind, kommen nicht von ungefähr. Irgendwo ist immer ein<br />
bisschen Wahrheit dran. Aber im Normalfall versuchen<br />
wirklich alle, das Beste aus der Situation zu machen. Leute,<br />
die nichts mit sich anzufangen wissen und versuchen,<br />
anderen das Leben schwer zu machen – die gibt es, klar.«<br />
Nie raus aus der Anstalt<br />
Stress gebe es zum Beispiel, wenn neue Arbeitsgruppen<br />
gebildet werden. In so einem Fall komme es in den ersten<br />
Tagen zu den üblichen Konflikten. Auseinandersetzungen,<br />
bei denen jeder bemüht sei, seine Position zu behaupten.<br />
»Aber irgendwann kennt man sich, und dann hört das auf.«<br />
Ohnehin scheint der Alltag der meisten Insassen so strukturiert<br />
zu sein, dass man gar nicht so schnell auf dumme<br />
Gedanken kommen kann. Viele Langzeitinhaftierte machen<br />
wie Mirko, Siggi und Sascha eine Ausbildung. Sie müssen<br />
dementsprechend früh aufstehen, arbeiten und lernen. Für<br />
die Freizeit stehen sportliche Aktivitäten zur Auswahl. Und<br />
jeder, der arbeitet, darf sich für seine Zelle einen Fernseher<br />
kaufen. Hinzu kommen noch die Therapiegespräche, die<br />
»Kopffickerei«, wie Mirko es nennt. Nur Lockerung gibt es<br />
keine. Das heißt, man darf niemals raus aus der Anstalt.<br />
Der Freiheitsentzug wird von den dreien als gerechtfertigt<br />
akzeptiert. Selbst, als ich das soziale Ungleichgewicht<br />
anspreche, das die meisten Verbrechen unter Jugendlichen<br />
stark beeinflusst. »Strafe muss sein für jeden Mann. Egal,<br />
ob reich oder arm. Ich hab die Tat begangen, ich muss die<br />
Strafe absitzen.« So fasst es Sascha zusammen. Er behauptet,<br />
auch Reiche zu kennen, die andere überfallen haben. Mirko<br />
gibt sogar zu, dass er »richtig froh« war, gefasst worden<br />
zu sein. »Ich war halt am Bangen, was jetzt passiert ist<br />
bei meiner Tat. Und als die Kripo da war, da wusste ich’s,<br />
und da ist mir auch was von der Schulter gefallen. Mir<br />
war vollkommen bewusst, dass ich was Schlimmes getan<br />
habe, allerdings nicht, dass es so schlimm ist. Ich war nicht<br />
ganz bei der Sache, als die Tat passiert ist. In den Wochen<br />
darauf hatte ich schwer mit mir zu kämpfen, um damit<br />
klarzukommen, was ich da überhaupt gemacht hatte. Ich<br />
wusste auch gar nicht, was ich mit mir anfangen soll. Nach<br />
meiner Verhaftung wusste ich dann: Jetzt kann ich langsam<br />
mit der Tat umgehen. Ich kann mich dazu äußern und<br />
darüber sprechen.«<br />
Mirkos Worte wirken nicht aufgesagt. Gut vorstellbar,<br />
dass sein Leben nach der Tat ohne die Strafe von unlösbaren<br />
inneren Konflikten dominiert gewesen wäre. Wie alle<br />
anderen in Herford hat er eine Geschichte, die zu erzählen<br />
länger dauern würde.<br />
Wird ein Jugendlicher bei einer Straftat erwischt, wird er<br />
in der Regel zum Ableisten von Arbeitsstunden verpflichtet.<br />
Erst am Ende einer Reihe von »Erziehungsmaßnahmen«<br />
steht die Jugendstrafanstalt oder Justizvollzugsanstalt.<br />
Hierhin kommt man nur als Wiederholungstäter oder wenn<br />
man ein besonders schweres Verbrechen begangen hat. Das<br />
betrifft in Deutschland 6,7% aller rechtskräftig verurteilten<br />
Jugendlichen. Je nach Erhebung befinden sich ungefähr<br />
5500 bis 6500 Häftlinge in den 27 deutschen Jugendstrafanstalten,<br />
davon hat gut die Hälfte keinen Schulabschluss.<br />
<strong>Als</strong> wir später noch mal zum Spiegel zurückkehren,<br />
begegnet uns eine Gruppe Sträflinge auf dem Weg zum<br />
Sport. Sie tragen die dunkelblaue Anstaltskleidung, sind<br />
aber sonst von einer normalen Schulklasse kaum zu unterscheiden.<br />
Die meisten sehen nicht älter aus als 14 oder<br />
15, in dem großen Hof wirken sie besonders klein und zart.<br />
Die Gruppe macht einen ausgelassenen Eindruck. Im Laufe<br />
des Abends wird jeder einzelne Häftling der Gruppe alleine<br />
in einer abgeriegelten Zelle sitzen. Ob sich die Insassen<br />
dort alle sicher fühlen, weiß niemand außer ihnen selbst.<br />
Text: Martin Riemann<br />
HEUTE 053