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044 HEUTE<br />

Schwester von The xx und brachte dem Trio gerade deshalb<br />

viel Aufmerksamkeit ein. Auf dem Album fehlen dieser<br />

Song und dieser Sound nun größtenteils – bis auf den ausgiebigen<br />

Gebrauch dieses alles verwaschenden Sounds auf<br />

den Gitarren –, weil man sich auf dem Weg schon wieder<br />

neu erfunden hat. Da pulsiert und schwebt es, addiert sich<br />

Schicht um Schicht wie auf einem außer Kontrolle geratenen<br />

Loop-Pedal, fräsen sich die Gitarren ineinander. Und<br />

manchmal weiß man nicht so genau, was »es« eigentlich<br />

ist, was man da hört. Bis man live beobachten kann, wie<br />

die Schichten sich wieder auseinander lösen und sich die<br />

Tonquellen offenbaren. »Rachels Stimme ist dabei das effektivste<br />

Werkzeug, das wir besitzen. Manchmal klingt<br />

sie einfach nur wunderschön, manchmal hat sie so einen<br />

unheimlichen Wackler drin«, sagt Thomas. »Wir sind uns<br />

bewusst darüber, was es für eine Wirkung hat, sie gegen die<br />

Dichte der Musik zu setzen. Vielleicht könnte man mit einer<br />

Francis Bacon<br />

Irischer Maler, 1909-1992, nicht zu<br />

verwechseln mit dem gleichnamigen<br />

englischen Philosophen. Bacon<br />

malte besonders gerne deformierte,<br />

verrenkte und halb ins Abstrakte<br />

aufgelöste Körper. Passt: Im Video<br />

zu »Marching Song« werden<br />

Rachel, Dan und Tom langsam<br />

zu recht blutigen Zeitgenossen<br />

transformiert.<br />

»Unsere<br />

Songs bluten<br />

ineinander«<br />

Gitarrenlinie ähnliches versuchen, aber<br />

das menschliche Instrument ist einfach<br />

rätselhafter.«<br />

In dem Song »Violet Cries«, der wie eine<br />

Oper anmutet, gibt es durchaus epische Gitarrenfiguren,<br />

die aber jederzeit abbrechen und ins<br />

unendlich Kleine fragmentiert werden können,<br />

von einem plötzlich auftretenden Shoegazing-<br />

Orkan plattgemacht werden und an anderen Stellen<br />

– in anderen Songs sogar manchmal – als geisterhaftes<br />

Echo wieder auftreten. »Die Songs bluten ineinander«,<br />

sagt Daniel, was auf Englisch nur eine handelsübliche<br />

Metapher für das Verlaufen von Farben ist. Der martialische<br />

Unterton, den der Ausdruck auf Deutsch bekommt, passt<br />

aber umso besser.<br />

Esben And The Witch sind nach einem grausamen dänischen<br />

Märchen benannt, und die Faszination für das<br />

Merkwürdige und Unheimliche strahlt – wie damals bei den<br />

Romantikern – in die gesamte ästhetik aus, die die Band<br />

bewusst oder unbewusst um sich entworfen hat. Unter der<br />

Rubrik »images« auf esbenandthewitch.co.uk finden sich<br />

nicht etwa Promo-Fotos, sondern ein Sammelsurium aus<br />

alten Fotos von Séancen, Kupferstichen von Schiffen im<br />

Sturm, Mikrofotografien von Zellen. Auf der Bühne gesellen<br />

sich ausgestopfte Eulen, Porzellanbüsten und andere<br />

Kostbarkeiten von den Speichern unbewohnter Häuser zu<br />

einem großen Sortiment an Instrumenten. Hier merkt man<br />

schließlich, dass die zarte Rachel durch ihre dominante<br />

Stimme zwar im Mittelpunkt steht, es aber keine Frontperson<br />

im eigentlichen Sinne gibt: Die beiden Herren spielen<br />

Gitarren mit vielen Bodeneffekten und einer Drummachine<br />

vor sich, Thomas hat noch seinen Synthesizer, ansonsten<br />

wechselt alles die Hände. In der Mitte der Bühne steht eine<br />

Floor-Tom, auf der alle zusammen wie auf Kriegstrommeln<br />

spielen – und das Publikum rastet aus, wie es sich für eine<br />

rituelle Geisterbeschwörung gehört.<br />

Glaubt man einem kleinen Artikel im Guardian, ersteht<br />

in Hackneys Probekellern gerade eine ganze Armee von<br />

Bands, die ähnlich klingen. Zudem gibt es eine Welle von<br />

martialischen oder eben märchenhaften Bandnamen, wie es<br />

Albums durcheinandergebracht hat, sodass ich lange dachte,<br />

»Warpath« sei der Opener, spricht Thomas liebevoll von<br />

den kleinen Stunts, die solche Programme gerne ausführen.<br />

Rachel sagt dazu »Glitch«, also das Wort für einen Fehler<br />

in Schaltkreisen – Rauschen in Verstärkern, kurz verzerrte<br />

Bilder in Videos oder Programmierfehler in Computerspielen,<br />

durch die ungeahnte Möglichkeiten entstehen.<br />

Die Reihenfolge der Songs sei zwar extrem wichtig, weil<br />

das Album so narrativ funktioniere – aber der Glitch an<br />

sich, der Fehler im System als produktive Störkraft, sei auf<br />

jeden Fall auch ein Schaffensprinzip für Esben And The<br />

Witch, da sind sich alle einig. Schließlich war der Fehler<br />

in Form des Versprechers zum Beispiel ja auch eins von<br />

Freuds Lieblingsthemen. Womit dann auch der Kreis zum<br />

Unheimlichen geschlossen wäre.<br />

es kommt gerade ziemlich oft vor, dass Bands kaum andere<br />

Bands als einflüsse nennen, sondern eher kunst, Film oder<br />

wissenschaften. Bei euch sind es neben Björk oder Portishead<br />

zum Beispiel der antike tragödiendichter aischylos,<br />

Francis Bacon oder alte Landkarten ...<br />

D: Was ich an Kartografie mag, ist, dass sie eben oft kein<br />

reales Gebiet abbildet, sondern vergangene Räume. Alte<br />

Pläne der Londoner Tube zum Beispiel. Oder eben imaginäre<br />

Räume, da ist dann ein ganz direkter Link zur Musik.<br />

T: Ich glaube, dass das mit der Kartografie irgendwo stand,<br />

lag aber auch daran, dass wir einfach mal eine Landkarte auf<br />

der Bühne hängen hatten, die dann andauernd abgefallen<br />

ist. Aber zu deiner Frage: Die Bücher, die ich lese, und die<br />

Filme, die ich sehe, machen ja etwas mit mir. Und auf eine<br />

schwer benennbare Art und Weise fließt das natürlich in<br />

die Musik ein. Ist es aber immer schon, würde ich sagen.<br />

Vielleicht ändert sich dann einfach die art, wie man<br />

darüber spricht?<br />

D: Ja, und auch die Art, wie man bestimmte Einflüsse<br />

nutzt ... Zum Beispiel ist es nicht so, dass ein Text einfach<br />

nur mein eigenes Texte-Schreiben inspiriert. Vielmehr<br />

produziert er ein emotionales Etwas, er hat eine bestimmte<br />

Wirkung auf mich, und dann überlege ich:<br />

Wie kann ich das in Musik übersetzen? Manchmal<br />

kann das nur ein Satz sein.<br />

R: Oder ein Bild.<br />

T: Oder Architektur.<br />

davor verschiedenste Tiere waren, die man im Titel führen<br />

musste. Und sogar Kartografien, ein Thema, das Daniel<br />

interessiert, sind gerade so ein Diskurs-Trend. Esben And<br />

The Witch können natürlich nichts dafür, dass sie auf diese<br />

Weise an mehrere Pulse des neuen Jahres anschließbar<br />

sind. Entscheidend ist, dass das Herz des Ganzen wild und<br />

einzigartig bleibt – und ganz so sieht es aus.<br />

<strong>Als</strong> ich erzähle, dass mein iTunes die Reihenfolge des<br />

also kann Musikmachen für euch ganz direkt<br />

eine art übersetzungsarbeit zwischen den<br />

künsten sein?<br />

D: Manchmal schon. Aber so ein Einfluss<br />

nimmt natürlich verschiedene Formen an<br />

... Manchmal ist er nur eine Referenz in den<br />

Lyrics, manchmal bestimmt er die Grundstimmung<br />

eines ganzen Songs ... Bei »Eumenides«,<br />

worauf du mit Aischylos anspielst,<br />

war es beides.<br />

T: Und manchmal kommt der Einfluss<br />

natürlich auch nicht aus einem künstlerischen<br />

Referenznetzwerk, sondern<br />

aus unseren Leben. Dann arbeitet man<br />

sich so um Schichten von Stimmun-<br />

gen herum – es wäre natürlich auch<br />

schwierig, mit einem Synthesizer<br />

ein ganz bestimmtes Gefühl nachzubauen.<br />

Dazu kommt, dass ein Hörer nie<br />

genau das hört, was ihr in einen<br />

Song hineincodiert habt.

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