der BerG ist kulisse - 041 Kulturmagazin
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inszenierte <strong>BerG</strong>e<br />
Zur frohen Aussicht<br />
Auf den Innerschweizer Gipfeln wird gebaut, als ob die Welt neu<br />
zu erschaffen wäre. Ausgerechnet <strong>der</strong> Gemsstock scheint den<br />
Investoren nicht geheuer zu sein.<br />
alles frisch auf dem Pilatus: Die grosse terrasse<br />
wurde mit einer gedeckten galerie unterfüttert<br />
und die zwei hotels hat man umfassend saniert.<br />
nun lässt sich flotter flanieren, ästhetisch organisiert<br />
in die Weite schauen und eleganter schlafen. auf dem<br />
stanserhorn dreht sich das restaurant seit ein paar Jahren um<br />
360 grad und serviert dem gast ein Breitleinwandspektakel;<br />
demnächst kann er überdies in einer Cabriobahn zum gipfelgrat<br />
schweben. am titlis sorgt die karussellkabine schon bei <strong>der</strong><br />
Bergfahrt für den rundblick. oben pendeln die Besucher über<br />
den gletscher o<strong>der</strong> wählen zwischen diversen restaurants. auf<br />
allen drei gipfeln herrscht Panoramasicht.<br />
tourismus <strong>ist</strong> industrie<br />
Vor 100 Jahren sah <strong>der</strong> mensch von dort oben dasselbe.<br />
im Prinzip zumindest, denn die gletscher<br />
leuchten winziger und die täler sind überstellter.<br />
neben Pilatus, stanserhorn und titlis gibt es unzählige weitere<br />
gipfel in <strong>der</strong> innerschweiz. ausblicke bietet je<strong>der</strong> von ihnen. Wer<br />
oben steht, erlebt das unmittelbar und authentisch. Erleben <strong>ist</strong><br />
eine ex<strong>ist</strong>enzielle kategorie. Pilatus, stanserhorn und titlis sind<br />
tour<strong>ist</strong>isch genutzte Berge. tourismus <strong>ist</strong> eine wirtschaftliche kategorie.<br />
Er inszeniert den Berg und simuliert die aussicht als einzigartige<br />
und unübertreffliche. so ergibt ein gipfel sinn im Verkaufsprospekt,<br />
so bringt er etwas ein.<br />
10<br />
Über generationen hinweg wirkten die Berge ausschliesslich<br />
bedrohlich und abweisend. sie waren gelände, das gemieden sein<br />
wollte. Erst das 18. Jahrhun<strong>der</strong>t hat die Berge als lohnendes Ziel<br />
und ort <strong>der</strong> ausserordentlichen gefühle entdeckt. mit dem aufkommenden<br />
alpinismus und dem Erlebn<strong>ist</strong>ourismus im 19. Jahrhun<strong>der</strong>t<br />
stieg die aussicht zum erhabenen moment auf. seither<br />
lässt sie sich kommerziell nutzen. Die innerschweiz hat sich in<br />
diesem markt früh eingen<strong>ist</strong>et, exemplarisch auf dem Bürgenstock.<br />
Dort stehen die hotels spektakulär über den felswänden,<br />
<strong>der</strong> Weg zum hammetschwandlift verlängert das süsse schau<strong>der</strong>n<br />
ostwärts. ähnliches gilt für die rigi: Die ausblicke wurden<br />
von tolstoj gelobt, die sonnenaufgänge von mark twain geadelt.<br />
sowohl auf <strong>der</strong> rigi als auch auf dem Bürgenstock soll die tradition<br />
mit viel investorengeld erneuert werden. luxus inmitten<br />
halb gezähmter natur scheint gefragt.<br />
aussicht <strong>ist</strong> – wie gesagt – auf unzähligen gipfeln zu<br />
haben. Wer sie nicht inszeniert, verdient nichts. Wer<br />
sie nicht erneuert, bleibt nicht unübertrefflich. Das<br />
aber braucht es, um dem aufregungsbedürfnis <strong>der</strong><br />
menschen zu gefallen. am kräftigsten investiert wird in den innerschweizer<br />
Bergen zurzeit in an<strong>der</strong>matt. Doch was geht am<br />
gemsstock, diesem Berg, <strong>der</strong> grandios aus dem gotthardmassiv<br />
ragt, mit einer seilbahn erschlossen <strong>ist</strong> und die perfekte rundsicht<br />
über die Zentralalpen ermöglicht? heute findet die aussichtsplattform<br />
nur, wer sich im gebäude <strong>der</strong> Bergstation ganz<br />
nach oben verirrt. Es steht funktional kahl auf dem grat, kein<br />
kaffee, kein kiosk, kein restaurant, kein WC, nichts.