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der BerG ist kulisse - 041 Kulturmagazin

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Peter Rüedi: Dürrenmatt o<strong>der</strong><br />

Die Ahnung vom Ganzen.<br />

Biografie. Diogenes Verlag, Zürich<br />

2011. 960 Seiten. Ca. Fr. 49.90<br />

«iCH HaBE KEiNE BiOGRaFiE»<br />

rb. Das Buch liegt schwer in <strong>der</strong> hand. Ein Wälzer<br />

<strong>ist</strong> geworden, was autor Peter rüedi in 20 Jahren<br />

akribisch zusammengetragen hat zur ersten grossen<br />

Biografie über friedrich Dürrenmatt. Ein gigantisches<br />

Buch über einen giganten. «Dürrenmatt» <strong>ist</strong><br />

<strong>der</strong> felsenschwere titel, «o<strong>der</strong> Die ahnung vom<br />

ganzen» so die weiterführende Unterzeile.<br />

Den privaten Dürrenmatt kannte man lange<br />

Zeit kaum, einmal abgesehen von seiner letzten<br />

Ehe mit einer fernsehjournal<strong>ist</strong>in (über die sich<br />

rüedi – an<strong>der</strong>s als so viele an<strong>der</strong>e – so kurz wie<br />

nobel äussert). sein leben schien kaum von äusseren<br />

geschehnissen geprägt. Dürrenmatt, <strong>der</strong> stubenhocker.<br />

Wir kennen seinen schweren schreibtisch,<br />

den grossen le<strong>der</strong>nen sessel. Wenn wir uns<br />

Dürrenmatt in Bil<strong>der</strong>n vorstellen, dann immer<br />

sitzend. auch deshalb galt, dass bei Dürrenmatt<br />

das Werk, die Weltmodelle nichts dem eigenen leben<br />

zu verdanken haben. seine Protagon<strong>ist</strong>en<br />

waren immer spiel-, niemals Bekenntnisfiguren.<br />

Die erste Werkausgabe, 1980 erschienen,<br />

enthielt kaum selbsterlebtes o<strong>der</strong> autobiografisches.<br />

Erst später offenbarte er «unter dem denkbar<br />

unattraktiven titel ‹stoffe i – iii›» (Peter<br />

rüedi) so lange ausgespartes an autobiografischen<br />

hintergründen zu seinem schreiben. teilweise<br />

zumindest.<br />

seine schriftstellerei ziele von ihm weg, formulierte<br />

es Dürrenmatt selber. o<strong>der</strong>: «ich habe<br />

keine Biografie.» rüedi, <strong>der</strong> bereits den Briefwechsel<br />

zwischen friedrich Dürrenmatt und<br />

max frisch herausgegeben hat, bewe<strong>ist</strong> nun in<br />

einem grossartigen Buch nicht gerade das gegenteil,<br />

aber – wie es <strong>der</strong> Untertitel exakt formuliert<br />

– eine ahnung vom ganzen. Will heissen:<br />

Eine ahnung von einem leben und wie dieses<br />

mit seinem Werk verbunden <strong>ist</strong>. ihm <strong>ist</strong> damit<br />

ein Buch gelungen, das in seinem ganzen schier<br />

unendlich reich <strong>ist</strong>. rüedi <strong>ist</strong> ein begnadeter Erzähler,<br />

ein Chron<strong>ist</strong>, aber auch ein analyst erster<br />

güte. Er durchforstete einen nachlass von<br />

wohl ungeahntem Umfang, war friedrich Dürrenmatt<br />

doch <strong>der</strong> vielleicht obsessivste textrevision<strong>ist</strong>.<br />

rüedi mag auf fast 800 textseiten zu fesseln,<br />

wenn auch <strong>der</strong> Buchaufbau durchaus ein<br />

hin- und herspringen möglich macht. rüedi<br />

vertreibt keine Bil<strong>der</strong> von friedrich Dürrenmatt,<br />

das war nie seine absicht, aber er fügt dem album<br />

über den vielleicht nie ganz verstandenen<br />

schweizer nationaldichter viele Bil<strong>der</strong> und facetten<br />

neu hinzu. Das <strong>ist</strong> (s)eine grosse le<strong>ist</strong>ung.<br />

erlesen<br />

Chr<strong>ist</strong>oph Schwyzer: Wenzel.<br />

Roman. Verlag Martin Wallimann,<br />

Alpnach 2011. 160 Seiten.<br />

Ca. Fr. 29.–<br />

Buchvernissage, MO 14. November,<br />

19 Uhr, Stattkino Luzern<br />

VOiLà WENZEL!<br />

ks. Bitte, hier kommt ein kulturpessim<strong>ist</strong><br />

vom alten schlag! Einer <strong>der</strong> raren sorte, <strong>der</strong> die<br />

Welt, so wie sie geworden <strong>ist</strong>, nicht mehr mag.<br />

Einer, <strong>der</strong> den spaziergang (!) dem karriereschritt<br />

vorzieht, um die bessere, alte Zeit unter<br />

dem schutt <strong>der</strong> mo<strong>der</strong>ne zu sichten und zu vermissen.<br />

kurzweilig und reich an sprachlichen mitteln<br />

spielt <strong>der</strong> roman mit einfachen formen: Die<br />

menschen sind auf äusseres, Berufe und funktionen<br />

reduziert; eindimensional kontrastieren<br />

sie Wenzel, den Protagon<strong>ist</strong>en in ihrer mitte, <strong>der</strong><br />

als dünnhäutiger frem<strong>der</strong> angeekelt durch diese<br />

mo<strong>der</strong>ne strauchelt, zur arbeit pendelt, mit<br />

kaum jemandem spricht und lieber überempfindlich<br />

sich allseits abwendet.<br />

Wenzel glaubt sich erlöst, als er für seine lausige<br />

arbeit auf <strong>der</strong> redaktion eines gesundheitsmagazins<br />

konsequenterweise die kündigung<br />

erhält. Er erlebt sich neu geboren als einer,<br />

<strong>der</strong> sich jetzt – endlich! – seinem traum fügen<br />

kann. Und fühlt sich berufen, zu schreiben, ein<br />

Buch zu schreiben. Jetzt. in Wenzels Wohnung<br />

türmt sich schon Vorbild-literatur, es gibt einen<br />

schreibtisch, ein schreibzimmer! Einzig: Er<br />

schreibt nie. aus längst vergangener Zeit liegen<br />

tagebücher rum, doch die belächelt er.<br />

Wenzel, metaphysisch ein bisschen erkältet,<br />

fasst abseits <strong>der</strong> tosenden Welt und jenseits vom<br />

übermächtigen Vater nun den Plan <strong>der</strong> schreibenden<br />

selbstheilung, ohne mit schreiben zu<br />

beginnen.<br />

Dem leser stellt sich die frage, was im noch<br />

zu schreibenden Buch denn zu lesen wäre.<br />

Denn, weil einem <strong>der</strong> witzige Wenzel vertraut<br />

<strong>ist</strong>, weiss man auch, dass ihm wie so manchem<br />

haudegen vor ihm eine kreative Vision noch<br />

fehlt. «Ex positivo» leuchten zwar hier und dort<br />

Dinge hervor, die ihren autor aber noch suchen.<br />

in «Wenzel» entfaltet sich gekonnt eine reiche<br />

Diagnose <strong>der</strong> mo<strong>der</strong>ne. Ein roman, <strong>der</strong> klischiert<br />

die Wahrnehmung – auch die des «autors»<br />

– auf die schippe zu nehmen vermag.<br />

Wenzel <strong>ist</strong> <strong>der</strong> erste roman des luzerners.<br />

2009 erschienen von ihm die Prosaskizzen «und<br />

heim», 2011 mit «Valendas – die Welt im Dorf»<br />

zusammen mit dem fotografen Paul Joos ein<br />

Porträt eines Bergdorfes, das gegen die abwan<strong>der</strong>ung<br />

kämpft.<br />

35<br />

Werner Fritschi:<br />

Grenzübergänge.<br />

Verlag Generatio, Luzern 2011.<br />

Ban<strong>der</strong>ole à fünf Bänden,<br />

Fr. 75.–. Die Bücher sind auch<br />

einzeln für je Fr. 25.– erhältlich.<br />

www.werner-fritschi.ch<br />

LEBEN iST Zu- uND ZERFaLL<br />

heg. man wird halt nicht jünger. Und das leben<br />

wird mit <strong>der</strong> Zeit nicht einfacher. Da <strong>ist</strong> <strong>der</strong><br />

Zerfall nicht selten die letzte verbliebene konstante.<br />

Und nicht nur jener am körper, wie ihn<br />

Zeno in «kirschkerne» altersbedingt o<strong>der</strong> nora<br />

in «geliehene Worte» als folge ihrer magersucht,<br />

zu spüren bekommen. auch Beziehungen<br />

zerfallen, so etwa jene zwischen dem sich<br />

nach innen verkriechenden Joachim und seiner<br />

frau Zaina in «Elpis». Und dann <strong>ist</strong> da immer<br />

noch <strong>der</strong> Zufall. Überraschend taucht er auf, um<br />

einem den himmel auf den kopf fallen zu lassen.<br />

manchmal auch einen Dachbalken, wie <strong>der</strong> adligen<br />

Pia-maria in «gut zum Druck». o<strong>der</strong> einem<br />

durch eine Zufallsbegegnung ein stück<br />

himmel und neuen antrieb zurückzugeben,<br />

wie su und Jim in «Einspruch».<br />

in den fünf unter dem titel «grenzübergänge»<br />

zusammengefassten Erzählungen komprimiert<br />

<strong>der</strong> luzerner Werner fritschi seine geschichten<br />

auf das Entscheidende: Ja, es gibt Unglück<br />

und Unfälle, es gibt Verlust und manchmal<br />

kommt alles zusammen. aber es <strong>ist</strong> immer ein<br />

stück hoffnung übrig, jemand, <strong>der</strong> einem helfen<br />

will, im besten fall auch kann. Und so überraschend<br />

einem eine krankheit manchmal ereilt,<br />

so unerwartet kann da heilung sein. man könnte<br />

es auch ein Wun<strong>der</strong> nennen. «Did the Devil<br />

make the World, while god was sleeping?» ,<br />

fragte sich tom Waits. gut möglich. aber von<br />

Zeit zu Zeit erwacht <strong>der</strong> alte Bartträger eben aus<br />

seinem schönheitsschlaf.<br />

fritschi arbeitet symbolreich. immer wie<strong>der</strong><br />

erträumen die figuren die Bil<strong>der</strong> zu ihrer situation.<br />

Das <strong>ist</strong> passend. Denn viele <strong>der</strong> Charaktere<br />

suchen ihre lebensansätze hinter dem alltäglichen<br />

handeln. in ihren eigenen lebensphilosophien<br />

o<strong>der</strong> in den Worten <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en. in den<br />

hintergründen ihres tuns und den eingeklemmten<br />

Wurzeln ihrer Vergangenheit. Es<br />

tummeln sich spirituelle, intellektuelle, poetische<br />

seelen an den grenzübergängen. gefangen<br />

im nicht-herauskönnen, aber kämpfend. Und<br />

die rettung <strong>ist</strong> oftmals eine räuberleiter, auch<br />

wenn <strong>der</strong> helfer dabei manchmal auf <strong>der</strong> strecke<br />

bleibt. Ein versöhnliches Ende <strong>ist</strong> möglich.<br />

Das <strong>ist</strong> eine gute nachricht. Was kaputt geht,<br />

kann man reparieren. Was weggeworfen wurde,<br />

kann ersetzt werden. Und an recycling glauben<br />

nicht nur Buddh<strong>ist</strong>en, son<strong>der</strong>n vermutlich auch<br />

Werner fritschi.

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