der BerG ist kulisse - 041 Kulturmagazin
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NIELSEN / NOTTER<br />
47° 10’ 00,85” n / 8° 30’ 52,50” e<br />
Das Café Pizzeria Platzmühle in Zug. Ein<br />
mil<strong>der</strong> spätsommernachmittag. ich sitze<br />
bei kaffee auf <strong>der</strong> terrasse und denke an<br />
den Waldrapp. Das <strong>ist</strong> kein wüten<strong>der</strong><br />
sprechgesang <strong>der</strong> unter Bäumen gesungen<br />
wird son<strong>der</strong>n ein Vogel. Wer sich den Vogel<br />
ansieht wird verstehen warum ich an<br />
ihn denke. Doch was ich von dem Vogel<br />
denke <strong>ist</strong> hier nicht das thema. Vielmehr<br />
<strong>ist</strong> das thema dieses. kurz vorher stehe ich<br />
etwa dreissig meter vom lokal entfernt vor<br />
einer grossen Voliere. neben an<strong>der</strong>en ausländischen<br />
Vögeln wohnt hier auch <strong>der</strong><br />
Waldrapp. gezwungenermassen wie mir<br />
auffällt. Er würde wohl nach hause fliegen<br />
wenn er könnte. aber darf nicht. Wir haben<br />
ihn im ausland eingefangen und hierher<br />
geholt. Und behalten ihn bei uns entgegen<br />
seinem Willen. Zu einem ziemlich<br />
dünnen Zweck. Um ihn durchzufüttern.<br />
inzwischen steht ein Ehepaar in reichweite<br />
seiner goldenen hochzeit neben mir<br />
und vor dem käfig mit dem Waldrapp. Die<br />
frau fragt ihren mann wie heisst <strong>der</strong> Vogel.<br />
Er sagt ihr es steht angeschrieben.<br />
schau dort auf dem schild. Er geht aber<br />
nicht hin um es zu lesen. obwohl es kaum<br />
fünf schritte weit entfernt. Und sie geht<br />
auch nicht hin. Und sie liest nicht was da<br />
steht. stattdessen sagt sie das <strong>ist</strong> ein geier.<br />
Dann gehen beide weiter. irgendwie zufriedener<br />
als vorher. Die frau <strong>ist</strong> mir sofort<br />
sympathisch. Er weniger. Und ich wünsche<br />
ihr im stillen dass sie diese Unbelehrbarkeit<br />
bei sich behalten und ihr sorge<br />
tragen möge. Was aber hat man von <strong>der</strong><br />
Unbelehrbarkeit. so wird man fragen.<br />
Denn allgemein wird sie als mangelhaftigkeit<br />
gesehen. Die überwunden werden<br />
soll. Zu unserem Besten wie man uns versichert.<br />
nein sage ich nein. ich möchte anregen<br />
die Unbelehrbarkeit zu kultivieren.<br />
Dazu gälte es schon früh sie zu trainieren.<br />
schon in den ersten rechenstunden. Eins<br />
und eins gibt eins. Diese simple gleichung<br />
<strong>ist</strong> die grundformel <strong>der</strong> Unbelehrbarkeit.<br />
sie gilt es täglich einzuüben. Und wenn<br />
die kin<strong>der</strong> dann erwachsen werden haben<br />
sie auch keine schwierigkeiten mit den<br />
grossen Zahlen und Zusammenhängen.<br />
Eine milliarde minus eine milliarde gibt<br />
eine milliarde. kein haus plus kein haus<br />
gibt ein haus. Eine schuld plus eine schuld<br />
gibt keine schuld und einen Bonus. Und<br />
26<br />
ich beschliesse gleich mit gutem Beispiel.<br />
Denn das gute Beispiel <strong>ist</strong> ein alter und erprobter<br />
Wert. ich rufe die auslän<strong>der</strong>in die<br />
mich und an<strong>der</strong>e bedient auf <strong>der</strong> terrasse.<br />
kleine frau ich möchte keinen kaffee bitte.<br />
kleine frau sei hier die neokorrekte<br />
form von fräulein. Und sie bringt ihn.<br />
Und ich trinke keinen kaffee aus. Und ich<br />
rechne ab. Einen kaffee den ich vorhin<br />
hatte minus keinen kaffee den ich jetzt.<br />
Ergibt zusammen null. auf Wie<strong>der</strong>sehen.<br />
Und ich stehe auf und gehe. sie ruft mir<br />
hinterher. scheinbar empört. aber ich höre<br />
ihr nicht zu. Und niemand hält mich<br />
auf. Weil es klar <strong>ist</strong> dass <strong>der</strong> ganze Vorgang<br />
rechtens. Und ich stapfe durch die stadt<br />
und rufe hilfe. hilfe niemand verfolgt<br />
mich. Dazu mache ich zinnsoldatige Bewegungen.<br />
Und nach einer Weile rufe ich<br />
noch an<strong>der</strong>e Dinge. rettet euch die Welt<br />
geht auf. tod dem roten kreuz. Walhalla.<br />
Und bald herrscht in <strong>der</strong> halben stadt ein<br />
amüsantes Durcheinan<strong>der</strong>. später kehre<br />
ich noch einmal ein im Café Pizzeria. mit<br />
einem Bart verkleidet. Um unerkannt kein<br />
grosses Bier zu trinken. Und mich ein wenig<br />
auszuruhen. Da fällt mir eine Pizza<br />
auf. sie steht senkrecht neben mir. Die Pizza<br />
<strong>ist</strong> aus Plastik. sie steht in einem feuer<br />
aus Plastik. Die flammen lo<strong>der</strong>n aus holzscheiten<br />
auf die aus Plastik sind. Und das<br />
ganze steckt auf einer stange die im Boden<br />
eingelassen <strong>ist</strong>. Es sieht aus wie ein<br />
Verkehrsschild mit oliven Champignons<br />
und mozzarella. Und da die Pizza rund <strong>ist</strong><br />
stellt sie nicht irgendein Verkehrsschild<br />
dar son<strong>der</strong>n ein Verbotsschild. Pizza verboten.<br />
Und ich bin im stillen stolz auf<br />
mich. so schnell <strong>ist</strong> noch nie eines meiner<br />
anliegen in die gesellschaft hineindiffundiert.<br />
Und zur feier dieses persönlichen<br />
Erfolges rufe ich <strong>der</strong> kleinen frau und ihren<br />
gästen zu. ich gebe keinen aus.<br />
Proscht.<br />
Text Jens Nielsen, Illustration Benedikt Notter<br />
Ausgangspunkt <strong>ist</strong> <strong>der</strong> Hauptbahnhof Luzern. Von dort<br />
führt mich <strong>der</strong> Zufallsgenerator in fünf Entscheiden an<br />
den Ort, wo ich meine Notizen sammle. Der Zufall wird<br />
mit <strong>der</strong> Münze generiert. Die exakte Position <strong>ist</strong> <strong>der</strong> Kolumnentitel.<br />
Er besteht aus den Koordinaten, mit <strong>der</strong>en<br />
Hilfe man den Ort auf Google Earth metergenau findet.