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atw - International Journal for Nuclear Power | 6.2023

Reaktorkonzepte und neue Entwicklungen

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<strong>atw</strong> Vol. 68 (2023) | Ausgabe 6 ı November<br />

SPOTLIGHT ON NUCLEAR LAW 44<br />

Ein Rechtsrahmen für die Kernfusion<br />

Christian Raetzke<br />

Wie im letzten Heft der <strong>atw</strong> ausführlich dargestellt, bekommt die Fusions<strong>for</strong>schung in Deutschland<br />

gegenwärtig aus der Politik kräftigen Rückenwind. Am 22. Juni dieses Jahres veröffentlichte das Bundesministerium<br />

für Bildung und Forschung (BMBF) unter Ministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) ein<br />

Positionspapier „Fusions<strong>for</strong>schung – Auf dem Weg zur Energieversorgung von morgen“, 1 in dem die notwendigen<br />

Schritte hin zu einem deutschen „Fusionsökosystem“ skizziert werden. In dem Papier wird auch<br />

die Schaffung eines rechtlichen Rahmens für die Kernfusion empfohlen. Dieser Aspekt soll im Folgenden<br />

aufgegriffen und näher betrachtet werden. Welche Schritte sind er<strong>for</strong>derlich, um eine tragfähige juristische<br />

Grundlage für die Kernfusion bereitzustellen?<br />

Welche Rechtsgrundlage galt bisher?<br />

Die bestehenden Forschungsanlagen wurden auf der<br />

Grundlage des Strahlenschutzrechts genehmigt. Um<br />

das prominenteste Beispiel zu nehmen: die Anlage<br />

Wendelstein 7-X in Greifswald, die der Er<strong>for</strong>schung<br />

des Bautyps „Stellarator“ dient, wurde genehmigungsrechtlich<br />

als Anlage zur Erzeugung ionisierender<br />

Strahlung behandelt. Das zuständige Ministerium<br />

des Landes Mecklenburg-Vorpommern erteilte<br />

1997 eine Errichtungsgenehmigung nach § 15 der<br />

StrlSchV von 1976 (heute § 10 Abs. 1 StrlSchG) und<br />

2015 eine Betriebsgenehmigung nach § 11 Abs. 2 der<br />

StrlSchV von 2001 (heute § 12 Abs. 1 Nr. 1 StrlSchG). 2<br />

Das AtG kam dagegen für die Genehmigung von Forschungsanlagen<br />

wie dem Wendelstein 7-X nicht in<br />

Betracht. Die Genehmigungsnormen des AtG beziehen<br />

sich auf Kernbrennstoffe; Kernbrennstoffe sind<br />

in § 2 Abs. 1 Satz 2 AtG (und gleichlautend in § 3 Abs.<br />

1 Satz 2 StrlSchG) als „besondere spaltbare Stoffe“<br />

charakterisiert und konkret mit angereichertem<br />

Uran und bestimmten Plutoniumisotopen bezeichnet.<br />

Weder finden solche Stoffe in den bisherigen<br />

Versuchsanlagen Anwendung, noch ist die Kernfusion<br />

als Vorgang überhaupt adäquat mit den das<br />

AtG prägenden Begriffskategorien der Kernspaltung<br />

zu erfassen.<br />

Wie wäre die Rechtsgrundlage<br />

weiterzuentwickeln?<br />

Auch wenn das geltende Strahlenschutzrecht die bislang<br />

verwirklichten Versuchsanlagen abzudecken<br />

vermag, so ist doch festzustellen, dass im StrlSchG<br />

ausdrücklich auf die Kernfusion bezogene Regelungen<br />

fehlen; künftige, weiterentwickelte Anlagen<br />

sollten genehmigungsrechtlich nicht mehr als<br />

(bloße) „Anlagen zur Erzeugung ionisierender<br />

Strahlung“ charakterisiert werden. Eine Neuregelung<br />

wird sich spätestens dann aufdrängen, wenn in<br />

künftigen Anlagen – anders als heute – tatsächlich<br />

Tritium, ein Radioisotop, zum Einsatz kommt. Die<br />

für Kraftwerke bestimmende Fusionsreaktion besteht<br />

bekanntlich aus der Verschmelzung eines Deuterium-<br />

und eines Tritiumkerns. In einem künftigen<br />

„echten“ Fusionskraftwerk stellen sich – neu oder<br />

ggü. heutigen Versuchsanlagen verstärkt – durchaus<br />

relevante Fragestellungen mit Blick auf Neutronenflüsse,<br />

Spektren harter elektromagnetischer Strahlung,<br />

das Tritiuminventar und den Tritium-Kreislauf,<br />

Brutaktivitäten und die Aktivierung von Strukturmaterialien.<br />

Auch Risiken außerhalb ionisierender<br />

Strahlung müssen berücksichtigt werden (etwa<br />

Magnetfelder, Laser, Vorhandensein von nichtradioaktiven<br />

Gefahrstoffen). Hier wäre ein einheitliches<br />

Genehmigungsregime vorteilhaft, das diesen Aspekten<br />

Rechnung trägt. Zu Recht weist auch das BMBF<br />

darauf hin, dass die Entwicklung einer Fusions-Infrastruktur<br />

einen maßgeschneiderten Rechtsrahmen<br />

benötigt, um allen Beteiligten die notwendige<br />

Rechtssicherheit zu geben.<br />

Wo wäre die Kernfusion zu regeln?<br />

Es besteht Einigkeit, dass die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz<br />

des Bundes aus Art. 73 Abs. 1 Nr.<br />

14 GG, die für „die Erzeugung und Nutzung der Kernenergie<br />

zu friedlichen Zwecken“ und „den Schutz<br />

gegen Gefahren, die … durch ionisierende Strahlen<br />

entstehen“, gilt, die Kernfusion einschließt. 3 Einer<br />

Regelung durch Bundesgesetz stünde also nichts im<br />

Wege. Für die Verortung eines Regelungskomplexes<br />

zur Kernfusion gibt es mehrere Möglichkeiten: das<br />

StrlSchG, das AtG oder ein eigenes Fusionsgesetz.<br />

Das BMBF-Papier (S. 23 und S. 26 f.) plädiert dafür,<br />

1 https://www.bmbf.de/SharedDocs/Publikationen/de/bmbf/7/775804_Positionspapier_Fusions<strong>for</strong>schung.html.<br />

2 Sieg, Genehmigungsverfahren für die Kernfusion: Wendelstein 7-X, Vortragsfolien, dat. 25.11.2016, abrufbar unter https://www.lps-berlin.de/sites/default/files/<br />

inline-files/Dr_Sieg_Kernfusionsexperiment.pdf.<br />

3 Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages, Rechtliche Rahmenbedingungen für die Errichtung und den Betrieb von Fusionskraftwerken zur kommerziellen<br />

Energiegewinnung, 28. März 2023, S. 13; https://www.bundestag.de/resource/blob/948818/1db0c6a5a8cb1fb68615f78eb0858547/WD-8-004-23-PE-6-010-<br />

23-pdf-data.pdf.<br />

Spotlight on <strong>Nuclear</strong> Law<br />

Ein Rechtsrahmen für die Kernfusion ı Christian Raetzke

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