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atw - International Journal for Nuclear Power | 6.2023

Reaktorkonzepte und neue Entwicklungen

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<strong>atw</strong> Vol. 68 (2023) | Ausgabe 6 ı November<br />

die Rahmenbedingungen „außerhalb des Atomrechts“,<br />

nämlich durch eine Anpassung des StrlSchG<br />

zu schaffen. Konkret würde das die Formulierung<br />

neuer, auf die Fusion bezogener An<strong>for</strong>derungen und<br />

die Schaffung eines neuen Genehmigungstatbestandes<br />

im StrlSchG – etwa als § 12 Abs. 1 Nr. 6 oder als<br />

§ 12a StrlSchG und/oder in der StrlSchV (oder ggf.<br />

die Schaffung einer eigenen Fusionsverordnung unter<br />

dem StrlSchG) bedeuten. Eine andere Möglichkeit<br />

wäre, die Genehmigung von Fusionskraftwerken<br />

im AtG zu regeln. Allerdings handelt es sich auch<br />

bei Tritium bzw. den beim Betrieb von Fusionskraftwerken<br />

entstehenden Aktivierungsprodukten nicht<br />

um spaltbare Stoffe und damit nicht um Kernbrennstoffe<br />

im Sinne des § 2 AtG; in einem solchen Falle<br />

müsste daher die bestehende Zentrierung des AtG<br />

auf Kernbrennstoffe aufgegeben werden. Neben der<br />

Einfügung eines neuen Genehmigungstatbestandes<br />

wären damit erhebliche „Umbauarbeiten“ des Gesamt-AtG<br />

er<strong>for</strong>derlich. 4<br />

Als weiterführend kann sich vielleicht folgende<br />

Überlegung erweisen: Der Gesetzgeber des AtG hat<br />

Anlagen und Tätigkeiten rund um Kernbrennstoffe<br />

unmittelbar im AtG geregelt, weil er sie als besonders<br />

gefährlich und damit als besonders regelungs- und<br />

überwachungsbedürftig ansah. 5<br />

Die Regulierung<br />

sonstiger Tätigkeiten, die mit ionisierender Strahlung<br />

zu tun haben, wurde dagegen im AtG von 1959<br />

über Verordnungsermächtigungen delegiert, aus<br />

denen u. a. die StrlSchV hervorging. Seit 2017/18<br />

übernimmt das StrlSchG diese Aufgabe. Insofern<br />

kann man die Frage nach der Verortung künftiger<br />

Fusionsregelungen auch so stellen, ob die mit einem<br />

Fusionsreaktor verbundenen Risiken analog zu den<br />

damaligen Überlegungen des Gesetzgebers die Aufnahme<br />

ins AtG rechtfertigen.<br />

Nach allgemeiner Auffassung ist das von einem Fusionsreaktor<br />

ausgehende Risiko um ein Vielfaches<br />

geringer als bei einem Kernkraftwerk. 6 Stichworte<br />

sind die nicht vorhandene Kritikalität, die deutlich<br />

weniger problematische Wärmeabfuhr (keine Nachzerfallswärme)<br />

und das fehlende Anfallen von langlebigen<br />

hochradioaktiven Abfällen, die einer Endlagerung<br />

bedürften. Mit Blick auf den Strahlenschutz<br />

ergeben sich bei Fusionsreaktoren Fragestellungen,<br />

die durchaus nicht trivial sind; genannt seien die<br />

hohen Neutronenflüsse, das Entstehen von Röntgen-<br />

und Bremsstrahlung und die Aktivierung von<br />

Strukturmaterialien. Diese Fragen sind jedoch im<br />

Rahmen des Strahlenschutzrechts, das auch andere<br />

vergleichbar anspruchsvolle Tätigkeiten kennt, lösbar.<br />

An einer Stelle gibt es schon im heutigen Recht eine<br />

Bestimmung zur Kernfusion, die auch eine Positionierung<br />

des Gesetzgebers erkennen lässt, nämlich<br />

im Bereich der Atomhaftung, die für das gesamte<br />

Atom- und Strahlenschutzrecht in den §§ 25 ff. AtG<br />

geregelt ist. Die Haftung für einen Schaden, der – so<br />

die schöne Formulierung – „durch die Wirkung eines<br />

Kernvereinigungsvorgangs verursacht wird“, ist seit<br />

der Erstfassung des AtG von 1959 ausdrücklich in<br />

der sog. Isotopen- oder Besitzerhaftung in § 26 AtG<br />

(dort Abs. 2) angesiedelt und nicht (wie die Fälle des<br />

§ 26 Abs. 1a AtG) inhaltlich der Haftung für Kernanlagen<br />

gleichgestellt, die in § 25 AtG i. V. m. dem<br />

internationalen Pariser Übereinkommen geregelt<br />

ist. Die Haftungsregelung des § 26 betrifft Fälle, die<br />

auch aus Sicht des Gesetzgebers ein geringeres Gefahrenpotential<br />

aufweisen. 7 Der Gesetzgeber hat an<br />

dieser Stelle also bereits das Risiko der Kernfusion<br />

mit demjenigen sonstiger strahlenschutzrechtlich<br />

relevanter Tätigkeiten in Bezug gesetzt und von<br />

demjenigen der Kernspaltung mit ihrem Kritikalitätsrisiko<br />

abgegrenzt.<br />

Bedenkt man das geringere Risikopotential der Fusion<br />

und schreibt man die jetzige Struktur der atomund<br />

strahlenschutzrechtlichen Regelungen gedanklich<br />

<strong>for</strong>t, dann spricht also viel dafür, dem Vorschlag<br />

des BMBF zu folgen und die Vorschriften, die die<br />

Kernfusion betreffen, im StrlSchG bzw. in einer von<br />

diesem Gesetz abhängigen Verordnung anzusiedeln;<br />

der Regelungsbereich des AtG würde dann unverändert<br />

bei der Kernspaltung, also bei der Genehmigung<br />

von Anlagen des Kernbrennstoffkreislaufs, und der<br />

Beseitigung radioaktiver Abfälle belassen.<br />

Wie wird die Regulierung der<br />

Kernfusion international gesehen?<br />

Das BMBF-Papier verweist durchaus zutreffend auf<br />

internationale Entwicklungen, die eher in die Richtung<br />

einer Anwendung des Strahlenschutzrechts auf<br />

Fusionsanlagen gehen. In den USA hat die <strong>Nuclear</strong><br />

Regulatory Commission (NRC) Anfang dieses Jahres<br />

ein Strategiepapier 8 veröffentlicht, das empfiehlt,<br />

die Regulierung von Fusionskraftwerken nicht unter<br />

den Kategorien der kerntechnischen Anlagen („production<br />

facilities“ und „utilization facilities“) und<br />

Kernbrennstoffe („special nuclear material“) des<br />

SPOTLIGHT ON NUCLEAR LAW 45<br />

4 Für eine erste Analyse der bestehenden AtG-Regelungen mit Blick auf ihre Anwendbarkeit auf die Fusion siehe Wissenschaftliche Dienste des BT (vorige Fn.), S. 14 ff.<br />

5 Siehe die amtliche Begründung des AtG, BT-Drs. 3/759, S. 18 f.<br />

6 Siehe hierfür nur GRS, Untersuchung der Sicherheit von Kernfusionskraftwerken hinsichtlich nuklearer Stör- und Unfälle, November 2013; https://www.bmuv.de/<br />

download/untersuchung-der-sicherheit-von-kernfusionskraftwerken-hinsichtlich-nuklearer-stoer-und-unfaelle.<br />

7 BT-Drs. 3/759, S. 36; dazu allgemein auch Raetzke in Frenz, Atomrecht, Kommentar, 2019, § 26 AtG Rn. 2.<br />

8 NRC, Options <strong>for</strong> Regulating and Licensing Fusion Energy Systems, SECY-23-0001, 04.01.2023; https://www.nrc.gov/docs/ML2227/ML22273A178.html.<br />

Spotlight on <strong>Nuclear</strong> Law<br />

Ein Rechtsrahmen für die Kernfusion ı Christian Raetzke

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