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atw - International Journal for Nuclear Power | 6.2023

Reaktorkonzepte und neue Entwicklungen

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<strong>atw</strong> Vol. 68 (2023) | Ausgabe 6 ı November<br />

SPOTLIGHT ON NUCLEAR LAW 46<br />

Atomic Energy Act vorzunehmen, sondern sie vielmehr<br />

in die Kategorie „byproduct material“ einzuordnen,<br />

die man mit „sonstigen radioaktiven Stoffen“<br />

gleichsetzen kann. In ganz vergleichbarer Weise<br />

hat schon 2021 das englische Wirtschafts- und Energieministerium<br />

empfohlen, Fusionsanlagen auch in<br />

Zukunft als „radioactive substance activity“ zu regulieren<br />

und nicht als „nuclear installations“, die einer<br />

„nuclear site licence“ (vergleichbar einer deutschen<br />

§-7-AtG-Genehmigung) bedürfen. 9<br />

Sowohl in den USA als auch in UK werden diese<br />

Überlegungen mit dem geringeren Risiko von Fusionsanlagen<br />

begründet, das eine Anwendung des<br />

Kernanlagenrechts als nicht er<strong>for</strong>derlich, ja als nicht<br />

gerechtfertigt und unangemessen erscheinen lässt.<br />

In Frankreich, wo zur Zeit die größte internationale<br />

Versuchsanlage ITER entsteht, ist man einen etwas<br />

anderen Weg gegangen, indem der ITER dort als „installation<br />

nucléaire de base“ (INB), also unter der gewichtigsten<br />

Kategorie des französischen Atomrechts<br />

eingeordnet und seine Errichtung entsprechend genehmigt<br />

wurde. 10 Diesen Begriff darf man aber nicht<br />

mit „Kernkraftwerk“ oder „kerntechnische Anlage“<br />

gleichsetzen.<br />

Wie aus der Definition in Art. L593-2 des französischen<br />

Umweltgesetzbuchs (Code de l’Environnement)<br />

hervorgeht, sind INB nicht nur Reaktoren und<br />

Anlagen des Kernbrennstoffkreislaufs (Nr. 1 und 2),<br />

sondern auch Anlagen, die radioaktive Stoffe enthalten<br />

und bestimmten Eigenschaften entsprechen<br />

(Nr. 3), sowie bestimmte Beschleuniger (Nr. 4). Der<br />

Begriff greift also inhaltlich in Bereiche über, die in<br />

Deutschland dem Strahlenschutzrecht zugeordnet<br />

werden. Die Einordung als INB bedeutet auch nicht<br />

per se, dass die An<strong>for</strong>derungen und Regelwerke für<br />

Kernkraftwerke inhaltliche Anwendung finden. Das<br />

Genehmigungsverfahren ist allerdings in der Strukturierung<br />

dasselbe wie für Kernkraftwerke. Das hat<br />

sich für den ITER jedenfalls nach der Auffassung,<br />

die Hesch und Stieglitz im letzten Heft der <strong>atw</strong> 11<br />

vertreten haben, nicht bewährt: hiernach habe die<br />

Erfahrung aus dem ITER-Genehmigungsverfahren<br />

gezeigt, dass die Anwendung von Standards und<br />

Verfahren, die für Kernkraftwerke gedacht sind,<br />

„nicht die beste Lösung“ darstellt. Die französische<br />

Vorgehensweise mag auch davon bestimmt worden<br />

sein, dass Frankreich als „Gastgeber“ der bisher größten<br />

internationalen Fusionsanlage als erstes Land<br />

vor einer vergleichbaren Genehmigungsaufgabe<br />

stand und durch die Einordnung des ITER als INB<br />

für diese Aufgabe auf die vorhandenen, bewährten<br />

nationalen Regelungen zurückgreifen konnte; das<br />

mag umso näher gelegen haben, als der ITER in unmittelbarem<br />

räumlichen Zusammenhang mit dem<br />

großen Kern<strong>for</strong>schungszentrum in Cadarache, das<br />

atomrechtlich genehmigt ist, errichtet wird.<br />

Fazit<br />

Angesichts der Fortschritte der Fusions<strong>for</strong>schung<br />

und im Lichte der in Aussicht gestellten Förderung<br />

durch das BMBF ist dem Ministerium zuzustimmen,<br />

dass man sich jetzt Gedanken über einen rechtlichen<br />

Rahmen für künftige Fusionsanlagen, bis hin<br />

zu vollgültigen Fusionskraftwerken, machen muss.<br />

Entscheidend ist die Tauglichkeit solcher Regelungen;<br />

sie müssen – auch wenn die Kernfusion insgesamt<br />

deutlich geringere Risiken mit sich bringt<br />

als die Kernspaltung – ein hohes Sicherheitsniveau<br />

garantieren und dafür sorgen, dass Schäden für<br />

Mensch und Umwelt praktisch ausgeschlossen sind.<br />

Zugleich müssen solche Regelungen zweckmäßig<br />

gestaltet sein und dürfen nur solche An<strong>for</strong>derungen<br />

an Verfahren und Inhalte stellen, die für den oben<br />

genannten Schutzzweck er<strong>for</strong>derlich sind, die also<br />

zu den Risiken der Kernfusion in einem angemessenen<br />

Verhältnis stehen. In welchem Gesetz ein so gestalteter<br />

Regelungskomplex zur Kernfusion letztlich<br />

untergebracht wird – ob im AtG, im StrlSchG oder<br />

in einem eigenen Gesetz –, ist hierfür nicht das Entscheidende.<br />

Die oben angeführten Gründe sprechen<br />

jedoch eher gegen eine Verortung im AtG.<br />

Autor<br />

Dr. Christian Raetzke<br />

Rechtsanwalt<br />

Leipzig<br />

christian.raetzke@conlar.de<br />

Dr. Christian Raetzke ist Rechtsanwalt und seit über 20 Jahren im Atom- und<br />

Strahlenschutzrecht tätig. Von 1999 bis 2011 arbeitete er für die E.ON Kernkraft<br />

(heute PreussenElektra) in Hannover. 2011 ließ er sich als Rechtsanwalt mit<br />

eigener Kanzlei in Leipzig nieder und berät seither Unternehmen, Versicherungen,<br />

Institutionen und Behörden. Er veröffentlicht regelmäßig rechtswissenschaftliche<br />

Beiträge und ist Dozent auf Seminaren und an internationalen Fortbildungseinrichtungen<br />

zum Atom- und Strahlenschutzrecht.<br />

9 Department <strong>for</strong> Business, Energy & Industrial Strategy, Towards Fusion Energy, The UK Government’s proposal <strong>for</strong> a regulatory framework <strong>for</strong> fusion energy, Okt. 2021;<br />

https://www.gov.uk/government/consultations/towards-fusion-energy-proposals-<strong>for</strong>-a-regulatory-framework.<br />

10 Décret n° 2012-1248 vom 9. November 2012; https://www.legifrance.gouv.fr/loda/id/JORFTEXT000026601187.<br />

11 Hesch/Stieglitz, ITER and DEMO – Technology Challenges on the Way to Fusion <strong>Power</strong>, <strong>atw</strong> 2023 Heft 5, S. 37 (39).<br />

Spotlight on <strong>Nuclear</strong> Law<br />

Ein Rechtsrahmen für die Kernfusion ı Christian Raetzke

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