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Fazer download PDF - Fundação Cultural do Estado da Bahia

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Dieser Ge<strong>da</strong>nke war fast unerträglich. Am meisten störte ihn freilich die inden Tiefen seines Bewusstseins verankerte Überzeugung, <strong>da</strong>ss es sich gar nichtlohnte, irgendetwas verändern zu wollen. Das Bewusstsein von der schrecklichenLage war ein mit sieben Siegeln gesichertes Geheimnis, <strong>da</strong>s er niemals lüftendurfte, unter der Drohung, von denen, die er zu warnen versuchte, ausgestoßenzu werden, und sei es durch die feige Waffe des Spotts. Wozu sollte er sich zuGunsten der Befreiung von Leuten opfern, die sich vor allem wünschten, weiterhingefangen bleiben zu dürfen? Für Heldentum ist auf dieser Welt kein Platz mehr.Selbst wenn Platz wäre, der Held wäre mit Sicherheit nicht er.Der Held, der er einst hätte sein können, war irgendwo auf seinem Lebensweggestorben. Alberto, der schon so viele Utopien genährt hatte, lebte jetzt um derPflege seiner eigenen moralischen Integrität Willen, dieser privaten Konstruktion,die er wie ein Baumhaus im Garten errichtet hatte und bei dem er täglichNachschau hielt, ob es sauber und sicher war, als seine Zuflucht vor der Dummheitder Welt. Es war ein kleiner Schutzraum, der zwar seiner ganzen Familie und einpaar Freunden diente, den er aber niemals der Welt öffnen könnte.Er pflegte seine moralische Reserve (und bestand <strong>da</strong>rauf, diesen antiquiertenAusdruck zu verwenden) wie eine kostbare Pflanze, die er täglich begoss un<strong>da</strong>uf die er sich bei seinem Umgang mit der Welt stützte. Manchmal überkam ihnLust <strong>da</strong>rauf, seinen Fuß auf ein neues Gelände und in eine andere Dimensionzu setzen, wo er nach Belieben tun und lassen könnte, was immer er wollte,ohne mit Konzepten und Vorurteilen zusammen zu stoßen. Eine seiner liebstenZerstreuungen war es, sich in der Fantasie ein Leben an diesem Ort vorzustellen.Es war eine harmlose Übung seiner Vorstellungskraft, die sich aber unbemerktschon in ein Instrument der Rache an der Welt und all dem verwandelt hatte, wasdie Zivilisation und ihre Werte in seinem Leben repräsentierten. Es war zugleichsein letzter Freiraum, zu dem er absolut niemandem Zutritt gewährte.Dieser geheime Ort, den er in Anlehnung an Stanislav Lems Roman „Solaris“in seinen Ge<strong>da</strong>nken „Lunaris“ nannte, war zunächst nur eine neue Form desDenkens und Fühlens, ehe er entdeckte, <strong>da</strong>ss es in Wahrheit ein „Ort“ für ihnwar. Eine seltsame, veränderliche Welt, die aber im Verlauf der Zeit den Statuseiner Wirklichkeit erwarb. In dieser anderen Welt gab sich Alberto dem zuweilenperversen Vergnügen hin (wenn dieser Ausdruck an diesem Ort überhaupt Sinnmacht), sich reale Personen neu zu erfinden, vergangene Ereignisse umzubauenund alles auszumerzen, was ihn verärgern könnte. Niemals allerdings mit Gewaltoder Grausamkeit. Immer suchte er eine Lösung, die es ihm erlaubte zu lachen.Und immer suchte er sich <strong>da</strong>ran zu erinnern, <strong>da</strong>ss seine Gefühle niemals offenbartwerden durften. Die Grenze zwischen jener und dieser Welt war stets zu beachten.Das war womöglich der Grund, weshalb Alberto als ernsthafter Mann galt, alswohl manchmal etwas zerstreut. Judite, seine Frau, beklagte diese Eigenschaftstets. Sie war immer sehr über die Leichtigkeit verwundert, mit der sich ihr Mannüber die Dinge hinwegsetzen konnte. Wie leicht es ihm fiel, in Schlaf und TraumCARLOS RIBEIRO159

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