ME2BE_01_2013_Sued
Create successful ePaper yourself
Turn your PDF publications into a flip-book with our unique Google optimized e-Paper software.
No.1<br />
Und parallel hast du aufgelegt.<br />
Zu diesem Zeitpunkt jobbte ich alle zwei Wochen<br />
im „Schuppen 20“, einem Restaurant am<br />
Hamburger Fischmarkt, als DJ. Auf Weihnachtfeiern<br />
und Firmenpartys. Da konnte ich<br />
mich austoben. Klar musste ich auch mal Sachen<br />
spielen, die die Leute hören wollten. Aber<br />
mit der Zeit konnte ich auch meine Musik bringen<br />
– und die Leute haben dazu abgefeiert.<br />
Wo und wie hast du eigentlich damit angefangen,<br />
eigene Musik zu produzieren?<br />
Zu Hause. Ich legte mir einen „Magic Music<br />
Maker“ zu - einige aus meiner Generation<br />
werden den vielleicht noch kennen – und experimentierte<br />
damit herum. Ich kaufte mir zig<br />
Sample-CDs, probierte Sachen aus und brachte<br />
mir auf diesem Weg alles selber bei.<br />
Dann wurde das Ganze professioneller…<br />
Genau. Jens organisierte uns über seinen Vater,<br />
der in einer IT-Firma arbeitet, einen günstigen<br />
Computer und das Producing-Programm<br />
„Logic“. Wir fingen an, gemeinsam zu produzieren,<br />
weil wir nicht nur Platten von anderen<br />
kaufen und spielen wollten. Dann ging es los.<br />
Auf der Closing-Party des legendären Hamburger<br />
Clubs „Kontor“ legten Jens und ich bis<br />
morgens um 8 Uhr im VIP-Raum auf. Von<br />
dem Gig machten wir einen Bootleg und ließen<br />
den auf Platte pressen. Ein Freund wurde darauf<br />
aufmerksam, schickte die Platte an seine<br />
Kontakte. Tja, und dann kam eines Morgens<br />
um 4 Uhr die SMS: „Ich möchte euch unbedingt<br />
signen“. Der nächste Ritterschlag!<br />
Euer erstes Album „Idealism“ kam ein halbes<br />
Jahr später heraus – und ging durch die<br />
Decke.<br />
Das haute richtig rein, was uns alle überraschte.<br />
Wir sind ja natürlich gewachsen, bei<br />
uns gab es nie einen Strategieplan. Und wir<br />
hatten mit unserem damaligen Label „Kitsuné“<br />
keine Plattenfirma mit Riesen-Marketingbudgets,<br />
die jetzt unendlich Kohle in uns<br />
reininvestierte.<br />
Wann hattet ihr zum ersten Mal wirklich das<br />
Gefühl: Das hier kann groß werden.<br />
Als wir in Belgien im legendären „Culture<br />
Club“ auflegten, drehten 1.500 Leute komplett<br />
durch. Da ging es richtig ab! Zu diesem<br />
Zeitpunkt hatten wir bereits 30.000 Platten<br />
verkauft, dass war damals richtig gut. Und<br />
plötzlich wurden dann auch noch die großen<br />
Major-Labels auf uns aufmerksam.<br />
Zu Recht. Denn ihr habt euch Stück für Stück<br />
aus eigener Kraft nach oben gearbeitet.<br />
Ich habe aufgelegt, produziert, ein Album gemacht<br />
und live gespielt, ohne vorher zu wissen,<br />
wie das eigentlich geht. Keiner hatte uns<br />
je erklärt, wie es läuft. Wir wurden immer<br />
wieder ins kalte Wasser geworfen, das war alles<br />
„learning by doing“.<br />
Ist es für Nachwuchs-DJs heute einfacher,<br />
Musik zu machen?<br />
Es ist viel, viel einfacher, alles ist zugänglicher.<br />
Früher musstest du erst einmal teures<br />
Equipment kaufen. Das brauchst du heute<br />
nicht mehr: Du kannst mit deinem iPhone oder<br />
iPad Musik machen. Du kannst dir auf Youtube<br />
DJ-Tutorials angucken. Wir dagegen hatten<br />
nur unseren 933 MHz-Rechner, und mussten<br />
wie Indiana Jones oder McGyver die richtige<br />
Fährte finden…<br />
Wie sollte ein Nachwuchs-DJ, der selber eine<br />
gute Nummer produziert hat, heute am besten<br />
vorgehen?<br />
Nutze die neuen Technologien und baue dir<br />
eine Fanbase auf. Heute wird es einem durch<br />
Portale wie Facebook, Soundcloud und Resident<br />
Advisor sehr einfach gemacht, sich und<br />
seine Musik zu präsentieren. Und: Mittlerweile<br />
gucken Plattenfirmen nicht mehr zu erst<br />
auf die Musik, sondern die Soundcloud- oder<br />
Facebook-Klicks. Je mehr Klicks, desto interessanter.<br />
Andererseits ist auch die Konkurrenz<br />
und die Auswahl größer geworden: Wenn<br />
heute einer eine Musikrichtung macht, machen<br />
dasselbe nicht zehn, nicht Hundert, sondern<br />
Tausende.<br />
Welche persönliche Einstellung brauchen junge<br />
DJs denn, um sich und ihre Musik nach<br />
vorne zu bringen?<br />
Wichtig ist, dass sie an sich glauben, aber<br />
keinen Druck aufbauen. Nicht „Ich muss, ich<br />
muss“, sondern „Es passiert, wie es passiert“.<br />
Sie sollten kreativ sein, selbst wenn kein Geld<br />
da ist. Sie sollten einfach irgendwo auflegen,<br />
selbst wenn es ein kleiner Laden ist. Sie sollten<br />
sich auch die Zeit nehmen, ihr Auflegen zu<br />
perfektionieren. Das ist ein steiniger Weg, der<br />
geht über Jahre! Denn nichts ist für einen DJ<br />
schlimmer, als einen Hit zu produzieren und<br />
nicht zu wissen, wie man auflegt. Es ist in etwa<br />
so, als würdest du deine Ausbildung abschließen<br />
– und hättest gerade mal die Grundkenntnisse<br />
drauf.<br />
Wie rätst du bei Misserfolgen?<br />
Die gehören dazu. Und sind gesund. Es liegt ja<br />
nicht daran, dass du schlechte Musik machst,<br />
sondern dass sich der Markt verändert. Es ist<br />
eben alles viel schneller und intensiver geworden.<br />
Und wenn gerade nicht deine Zeit ist,<br />
dann ist eben nicht deine Zeit. Viele lassen<br />
sich davon herunterreißen. Dabei ist es viel<br />
wichtiger, dass alles harmonisch läuft, dass du<br />
glücklich bist und dass du ein ehrliches Team<br />
um dich hast.<br />
Du wirkst extrem gelassen.<br />
Mir hilft es sehr, dass ich eine wirtschaftliche<br />
Ausbildung habe. Mal boomt es, dann geht die<br />
Konjunktur auch wieder runter. Das ist auch<br />
im Musikbusiness genauso. Man muss realistisch<br />
sein. Was hat man in der Vergangenheit<br />
gemacht, wo steht man jetzt und wie geht es<br />
weiter? Das sind ehrliche Unternehmerfragen,<br />
denen man sich stellen muss. Ich bin zwar<br />
Künstler, aber auch Unternehmer. Das Ganze<br />
wird irgendwann einmal einfach zu Business.<br />
Trotzdem scheint bei euch die Liebe und Leidenschaft<br />
für die Musik im Vordergrund zu<br />
stehen.<br />
Authentisch zu bleiben, das ist super wichtig.<br />
Auch wenn es mal auf und ab geht, du darfst<br />
nie die Liebe zur Musik aus den Augen verlieren.<br />
Denn es gibt auch viele Schattenseiten, die<br />
an die Substanz gehen: Dauer-Jetlag, wenn du<br />
Auch wenn es mal auf und ab geht,<br />
du darfst nie die Liebe zur Musik<br />
aus den Augen verlieren.<br />
die ganze Zeit zwischen den Kontinenten unterwegs<br />
bist. Dauer-Party, das ganze Umfeld.<br />
Nachts arbeiten. So brauchst du in Spanien und<br />
anderen südlichen Ländern vor drei oder vier<br />
Uhr morgens gar nicht zu spielen. Vorher kommen<br />
die Leute gar nicht.<br />
Wie schafft man es als DJ, mit der ersten<br />
großen Erfolgswelle nicht gleich abzuheben?<br />
Das ist schwer, das gebe ich zu. In Belgien und<br />
Japan kamen wir mit unserem ersten Album<br />
in die Top Ten. Das war so verrückt, was da<br />
abging. Wir hatten mit nichts gerechnet, plötzlich<br />
waren wir in Asien und die Leute drehten<br />
durch. Doch man sollte versuchen, neutral zu<br />
bleiben. Auch wenn man diese Bilder nie vergisst<br />
und sie einem auch gut tun.<br />
Welcher Moment wird dir immer in Erinnerung<br />
bleiben?<br />
Wir hatten in Tokio einen Gig, gingen danach<br />
total geflasht von der Stimmung zurück ins<br />
Hotel, um uns in aller Ruhe die Konzert-DVD<br />
anzugucken. Plötzlich bewegte sich alles im<br />
Zimmer: ein Erdbeben von der Stärke 7,0 – wie<br />
uns der Concierge dann erklärte! Das hat uns<br />
eines gezeigt. Egal was ist, du musst immer die<br />
Ruhe bewahren…<br />
TEXT Katharina McKechnie<br />
FOTO Nadya-Vanessa Gruber<br />
73