Adam Scharrer – Vaterlandslose Gesellen (1930) - linke-buecher.net
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Die Vertrauensleute geben Auskunft über das Verbindungslokal. Wir müssen eilen, um nicht von den<br />
aufgebotenen Schutzleuten oder Truppen aufgestöbert zu werden.<br />
Der Zug marschiert nach dem Treptower Park, Die großen Plätze sind abgesperrt. Schützenketten mit<br />
scharf geladenem, entsichertem Gewehr sind darüber hingezogen. Aber immer zahlreicher werden die<br />
Massen, die um sie herum marschieren, stumm, hungrig, frierend, erbittert. Die ganze Armee der<br />
Polizeispitzel in Zivil versucht sich unter die Demonstranten zu mischen, um den zu haschen, der es<br />
wagt, ein Wort zu den Aufständigen zu sprechen, das alle erwarten. Die Stoßkraft der Rebellenarmee<br />
soll durch erzwungenes Schweigen erschüttert werden.<br />
Die einzelnen Betriebsbelegschaften kommen auseinander, verlieren den Anschluss. Jeder fühlt: Das<br />
Schweigen muss gebrochen werden, ein trotziger Appell die Antwort auf zermürbenden Terror sein.<br />
Am Karpfenteich unterbrechen wir unsern stummen Marsch. Alle zuverlässigen Vertrauensleute<br />
werden herangeholt. Um Langenscheid wird eine dicke Mauer gebildet aus zuverlässigen Arbeitern<br />
und Arbeiterinnen. Dann duckt er sich, stülpt einen Kopfschützer über die Ohren, einen großen<br />
schwarzen Filzhut über seinen Schädel, einen dicken Schal um den Hals und zieht sich einen ihm viel<br />
zu großen Paletot an. So heben sie ihn auf die Schultern. Aller Augen hängen an ihm, als er spricht:<br />
„Arbeitsbrüder und -Schwestern! — Das Maß ist voll! — Wir lassen uns nicht länger wie Vieh<br />
behandeln! — Lieber für die Sache des Proletariats sterben, als für den Kapitalismus und Militarismus<br />
länger morden und hungern! — Wir ziehen in die Stadt, vereinigen uns mit unseren Brüdern zur<br />
Demonstration gegen den Krieg!-------"<br />
Dann verschwindet Langenscheid wieder, zieht sich seine blaue Marinejacke an, setzt seine<br />
Schirmmütze auf und geht als harmloser Mitläufer mit im Zuge, die Köpenicker Landstraße entlang.<br />
Sie wollen gemeinsam bekunden: Man kann nicht Millionen mitsamt ihren Kindern vernichten, ohne<br />
dass sie auf ihre Weise dagegen protestieren. Noch wollen sie weiter nichts! Eine Ahnung, von weither<br />
noch dämmernd, mag sie beschleichen, dass erst der Anfang gemacht ist, der Aufmarsch sich erst vollzieht<br />
zu der großen Schlacht, in der andere Kräfte in den Schützengraben ziehen. Nicht an den<br />
Grenzen der Vaterländer entlang, sondern durch sie hindurch, die Front der Ausgebeuteten gegen die<br />
Ausbeuter. Aber den Weg, den sie heute marschieren, hat noch nicht das klare Bewusstsein, sondern<br />
der Hunger erzwungen, es ist der Weg der friedlichen Demonstration.<br />
Da stehen sie schon vor einem Trupp berittener Schutzleute. „Zurück!" schnauzen die bespornten<br />
Vaterlandsverteidiger dem „inneren Feind" entgegen.<br />
Sie stutzen. „Was wollt ihr von uns! — Sollen wir willenlos verrecken?!"<br />
„Zurück!"<br />
Sie, die morgens mit wehem Herzen von ihren rachitischen Kindern gehen, deren Väter sterben und<br />
faulen im Eisenhagel und Gas, spüren mit einem Male die kalte, unerbittliche Verhöhnung. Ein Stück<br />
Papier fliegt einem Gaul unter den Bauch. Er tänzelt, der Reiter stutzt, zieht seine lange Plempe, reißt<br />
den Gaul herum. Die Front der berittenen Blauen formiert sich zur Attacke, die Säbel sind gezückt, die<br />
Pistolentaschen geöff<strong>net</strong>. — Doch die Massen stehen, stumm, Hohn in den Gesichtern. „Zurück!"<br />
Warum zurück! Sie begreifen das nicht, glauben nicht an die Vollendung der Provokation.<br />
Bis sie heranreiten, mit den seitlich antänzelnden Gäulen die ersten zu Boden zu werfen suchen, um<br />
durch die Panik die Reihen mürbe zu machen zum Durchbruch. „Zurück!"<br />
Doch sie halten stand! Einer fällt dem Gaul in die Zügel, der Reiter haut auf ihn nieder. — Doch ehe<br />
er sich versieht, ist er 238<br />
vom Pferd gerissen. Die Staatsautorität liegt im Dreck, die Plempe fliegt über den Zaun in den Schnee.<br />
Wie ein Blitz fährt es durch die Reihen: Eure Macht ist nur die Kehrseite unserer Schafsgeduld.<br />
Aber auch die Berittenen weichen nicht. Unsterbliche Schande, vor dem Pöbel zu kapitulieren. Sie<br />
kehren kurz um, wenden von neuem zur Attacke — und werden empfangen mit einem Bombardement<br />
von Steinen und Zaunlatten. Die Gäule bäumen sich. Eine niedergerittene Frau schreit — ihr Schrei<br />
peitscht die Massen zum Sturm.<br />
Die Berittenen werden an die Straßenkreuzung gedrängt. Da entdecken die Massen das Eckhaus,<br />
dessen zweiter Ausgang hinter den Rücken der Berittenen führt. Im Nu sind die Blauen umringt. Ihre<br />
Verwirrung auf den — so unglaublich geistlosen — Gesichtern reizt zum Lachen. Sie wenden — und<br />
sprengen davon, unbehelligt.<br />
Sie sollten die Demonstranten an der äußeren Zone aufhalten, damit der „Verkehr" nicht gestört wird.<br />
Nun stehen diese vor der herauffahrenden Straßenbahn.<br />
„Stopp! — Schmeißt den Krempel hin!" ermuntern sie den Führer. Der schaut ungläubig aus seinem<br />
Pelz. Der Schaffner verlässt den Wagen und sagt: „Seid vernünftig. Wir machen Schluss!"<br />
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