27.02.2013 Aufrufe

Adam Scharrer – Vaterlandslose Gesellen (1930) - linke-buecher.net

Adam Scharrer – Vaterlandslose Gesellen (1930) - linke-buecher.net

Adam Scharrer – Vaterlandslose Gesellen (1930) - linke-buecher.net

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

Die Vertrauensleute geben Auskunft über das Verbindungslokal. Wir müssen eilen, um nicht von den<br />

aufgebotenen Schutzleuten oder Truppen aufgestöbert zu werden.<br />

Der Zug marschiert nach dem Treptower Park, Die großen Plätze sind abgesperrt. Schützenketten mit<br />

scharf geladenem, entsichertem Gewehr sind darüber hingezogen. Aber immer zahlreicher werden die<br />

Massen, die um sie herum marschieren, stumm, hungrig, frierend, erbittert. Die ganze Armee der<br />

Polizeispitzel in Zivil versucht sich unter die Demonstranten zu mischen, um den zu haschen, der es<br />

wagt, ein Wort zu den Aufständigen zu sprechen, das alle erwarten. Die Stoßkraft der Rebellenarmee<br />

soll durch erzwungenes Schweigen erschüttert werden.<br />

Die einzelnen Betriebsbelegschaften kommen auseinander, verlieren den Anschluss. Jeder fühlt: Das<br />

Schweigen muss gebrochen werden, ein trotziger Appell die Antwort auf zermürbenden Terror sein.<br />

Am Karpfenteich unterbrechen wir unsern stummen Marsch. Alle zuverlässigen Vertrauensleute<br />

werden herangeholt. Um Langenscheid wird eine dicke Mauer gebildet aus zuverlässigen Arbeitern<br />

und Arbeiterinnen. Dann duckt er sich, stülpt einen Kopfschützer über die Ohren, einen großen<br />

schwarzen Filzhut über seinen Schädel, einen dicken Schal um den Hals und zieht sich einen ihm viel<br />

zu großen Paletot an. So heben sie ihn auf die Schultern. Aller Augen hängen an ihm, als er spricht:<br />

„Arbeitsbrüder und -Schwestern! — Das Maß ist voll! — Wir lassen uns nicht länger wie Vieh<br />

behandeln! — Lieber für die Sache des Proletariats sterben, als für den Kapitalismus und Militarismus<br />

länger morden und hungern! — Wir ziehen in die Stadt, vereinigen uns mit unseren Brüdern zur<br />

Demonstration gegen den Krieg!-------"<br />

Dann verschwindet Langenscheid wieder, zieht sich seine blaue Marinejacke an, setzt seine<br />

Schirmmütze auf und geht als harmloser Mitläufer mit im Zuge, die Köpenicker Landstraße entlang.<br />

Sie wollen gemeinsam bekunden: Man kann nicht Millionen mitsamt ihren Kindern vernichten, ohne<br />

dass sie auf ihre Weise dagegen protestieren. Noch wollen sie weiter nichts! Eine Ahnung, von weither<br />

noch dämmernd, mag sie beschleichen, dass erst der Anfang gemacht ist, der Aufmarsch sich erst vollzieht<br />

zu der großen Schlacht, in der andere Kräfte in den Schützengraben ziehen. Nicht an den<br />

Grenzen der Vaterländer entlang, sondern durch sie hindurch, die Front der Ausgebeuteten gegen die<br />

Ausbeuter. Aber den Weg, den sie heute marschieren, hat noch nicht das klare Bewusstsein, sondern<br />

der Hunger erzwungen, es ist der Weg der friedlichen Demonstration.<br />

Da stehen sie schon vor einem Trupp berittener Schutzleute. „Zurück!" schnauzen die bespornten<br />

Vaterlandsverteidiger dem „inneren Feind" entgegen.<br />

Sie stutzen. „Was wollt ihr von uns! — Sollen wir willenlos verrecken?!"<br />

„Zurück!"<br />

Sie, die morgens mit wehem Herzen von ihren rachitischen Kindern gehen, deren Väter sterben und<br />

faulen im Eisenhagel und Gas, spüren mit einem Male die kalte, unerbittliche Verhöhnung. Ein Stück<br />

Papier fliegt einem Gaul unter den Bauch. Er tänzelt, der Reiter stutzt, zieht seine lange Plempe, reißt<br />

den Gaul herum. Die Front der berittenen Blauen formiert sich zur Attacke, die Säbel sind gezückt, die<br />

Pistolentaschen geöff<strong>net</strong>. — Doch die Massen stehen, stumm, Hohn in den Gesichtern. „Zurück!"<br />

Warum zurück! Sie begreifen das nicht, glauben nicht an die Vollendung der Provokation.<br />

Bis sie heranreiten, mit den seitlich antänzelnden Gäulen die ersten zu Boden zu werfen suchen, um<br />

durch die Panik die Reihen mürbe zu machen zum Durchbruch. „Zurück!"<br />

Doch sie halten stand! Einer fällt dem Gaul in die Zügel, der Reiter haut auf ihn nieder. — Doch ehe<br />

er sich versieht, ist er 238<br />

vom Pferd gerissen. Die Staatsautorität liegt im Dreck, die Plempe fliegt über den Zaun in den Schnee.<br />

Wie ein Blitz fährt es durch die Reihen: Eure Macht ist nur die Kehrseite unserer Schafsgeduld.<br />

Aber auch die Berittenen weichen nicht. Unsterbliche Schande, vor dem Pöbel zu kapitulieren. Sie<br />

kehren kurz um, wenden von neuem zur Attacke — und werden empfangen mit einem Bombardement<br />

von Steinen und Zaunlatten. Die Gäule bäumen sich. Eine niedergerittene Frau schreit — ihr Schrei<br />

peitscht die Massen zum Sturm.<br />

Die Berittenen werden an die Straßenkreuzung gedrängt. Da entdecken die Massen das Eckhaus,<br />

dessen zweiter Ausgang hinter den Rücken der Berittenen führt. Im Nu sind die Blauen umringt. Ihre<br />

Verwirrung auf den — so unglaublich geistlosen — Gesichtern reizt zum Lachen. Sie wenden — und<br />

sprengen davon, unbehelligt.<br />

Sie sollten die Demonstranten an der äußeren Zone aufhalten, damit der „Verkehr" nicht gestört wird.<br />

Nun stehen diese vor der herauffahrenden Straßenbahn.<br />

„Stopp! — Schmeißt den Krempel hin!" ermuntern sie den Führer. Der schaut ungläubig aus seinem<br />

Pelz. Der Schaffner verlässt den Wagen und sagt: „Seid vernünftig. Wir machen Schluss!"<br />

101

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!