Adam Scharrer – Vaterlandslose Gesellen (1930) - linke-buecher.net
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VII<br />
Sophie ist krank. Sie hat das Kind nicht ausgetragen. Beinahe wäre sie verblutet, schrieben Anna und<br />
Martha. Es war kein Arzt zu finden in der Nacht. Zwei Tage habe ich ihren Tod erwartet, bis ein Brief<br />
von Sophie mich erlöste. „Es ist alles wieder gut, Hans, ängstige dich nicht! Wie geht es dir ?"<br />
Wie es mir geht, Sophie, das darf ich dir nicht schreiben, auch nicht, wenn die Zensur unserer<br />
Vorgesetzten nicht so argwöhnisch über Landesverräter wachen würde.<br />
Die Herren hinter der Front wollen sich hier anscheinend auf Lebenszeit einrichten. Ganze Dörfer<br />
werden ausgeplündert, alles nur Denkbare herangeschleppt. Offizierskasinos entstehen, hübsche<br />
Schwestern nehmen der Etappe das männliche Einerlei.<br />
Auch der Schützengraben bringt mancherlei Abwechslung. Für ein französisches Gewehr gibt es eine<br />
Mark Prämie. Die armen Teufel kriechen nachts im Gelände umher, unter den Leichen. Was sie den<br />
toten Franzosen sonst noch stehlen, gehört ihnen. Das Geschäft ging so gut, dass es jetzt nur noch<br />
fünfzig Pfennig gibt. Manchmal bringen sie auch Briefe mit, die in der Brieftasche verborgen sind. Die<br />
wandern ins Feuer oder sonstwohin.<br />
Mantey brachten sie ins Lazarett. Er betete zuletzt ununterbrochen. Beinahe hätte ich ihn um<br />
Verzeihung gebeten, dass ich ihm den Schädel einschlagen wollte. Wollmers war verwundet, konnte<br />
nicht geholt werden, ist in Gefangenschaft.<br />
„Ich hatt' einen Kameraden" ? Mag sein, dass manch einer Trost darin findet, seine eigene Tragödie zu<br />
besingen. Ich gehöre nicht zu diesen Glücklichen.<br />
Wenn die Granaten über uns krepieren, die zerschundenen Nerven den Angriff erwarten, Patrouillen<br />
nach vorn schleichen oder ein Angriff bevorsteht, dann gibt dir der Leutnant eine Zigarette, der<br />
Bauernsohn oder Gutsbesitzer ein Stück Wurst. „Nimm, Kamerad!" sagen sie dann. Was wollen sie<br />
noch damit, wenn die Kugel sie trifft ? Es ist dann gut, einen Kameraden zu haben, auf den man sich<br />
verlassen kann.<br />
Sie ist billig, diese Kameradschaft — und hört sofort auf, wenn wir etwas weiter vom Schuss sind.<br />
Dann essen die Habenichtse, die Proletarier, wieder ihr trockenes Brot.<br />
Die Leutnants rauchen ihre Zigaretten selber. Die Bauern und Geldleute suchen mit ihrem Überfluss<br />
ebenfalls allein fertig zu werden.<br />
Wer ihnen die dreckigen Stiefel putzt, ihre dreckigen Hemden wäscht, der kann mal einen Brocken<br />
erben, aber nicht von dem „Kameraden", der Herr bezahlt seinen Knecht.<br />
Die Kameradschaft im Kriege ist die größte Lüge, die je erfunden wurde. Sie war niemals eine<br />
freiwillige, sondern immer nur eine Gemeinschaft von Todeskandidaten.<br />
Und doch habe ich zwei gute Kameraden verloren. Das waren der Tischler Franz Daimler und der<br />
Landarbeiter Döring.<br />
Daimler, Döring und ich waren gerade zum Bau von Brunnen kommandiert. Recht langsam ging die<br />
Bohrerei, zweimal haben wir das Saugersieb durch unser Würgen in dem harten Boden zerrissen. Aber<br />
wir haben Zeit. Nach fünfundzwanzig Umdrehungen sind wir immer drei Zentimeter tiefer. Da kann<br />
man schon die Tage hinbringen, wenn man acht Meter bohren muss.<br />
Franz Daimler, der Landwehrmann, spricht nicht viel. Er denkt immer an seine Kinder in Schlesien<br />
und an seine Frau. In seinen Briefen, die er aus der Heimat empfängt, sind öfter Zeitungsausschnitte,<br />
die er sorgfältig studiert. Lange habe ich gezögert, ehe ich offen mit ihm sprach.<br />
Den Frieden wollen zwar alle — aber wie, darüber scheinen wenige nachzudenken. Franz wird immer<br />
skeptischer. „Die Partei scheint Wege zu beschreiten, gegen die man unbedingt und konsequent Front<br />
machen muss. Die Sache mit dem ,Verteidigungskrieg' ist faul. Es gibt keinen Burgfrieden, solange es<br />
Kapitalismus gibt", meint er. Die paar Worte genügen, wir reichen uns die Hand.<br />
Der Landarbeiter Döring half uns bei unserem Brunnen. Noch nie hat er vordem anderes von den<br />
Hetzern, den vaterlandslosen <strong>Gesellen</strong> gehört, als dass sie an den Galgen gehören. Er verstand auch<br />
jetzt nicht viel von dem, was wir besprachen — aber er ahnte, dass wir seine wirklichen Kameraden<br />
sind. Er wusste nicht recht, wie er uns seine Achtung beweisen sollte, er war der gute linkische<br />
Landproletarier. So versuchte er es mit eifriger Hilfsbereitschaft, wo immer er nur Gelegenheit hatte.<br />
Die französische Artillerie streute schon seit Tagen in die Stellung, immer nur einige Schuss, immer<br />
um dieselbe Zeit. Eines Tages beginnt sie bereits am frühen Morgen in kurzen Unterbrechungen mit<br />
schweren Kalibern zu schießen. Alles flüchtet in die Unterstände, auch wir. Während hinter dem<br />
Graben und in der hinteren Stellung schweres Feuer aus großen Kalibern liegt, wird die<br />
Grabenbesatzung überrumpelt.<br />
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