Adam Scharrer – Vaterlandslose Gesellen (1930) - linke-buecher.net
Adam Scharrer – Vaterlandslose Gesellen (1930) - linke-buecher.net
Adam Scharrer – Vaterlandslose Gesellen (1930) - linke-buecher.net
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
Tränen. Doch der Sturm aus meinem Innern bricht allen Widerstand und wirft mich mit dem Gesicht<br />
auf den Tisch.<br />
Sophie ist erschrocken, fragt aber nicht, sondern wartet ruhig ab, bis ich mir die Augen trockne.<br />
„Hans", sagt sie dann, „kannst du mir nicht sagen, was dich bedrückt?"<br />
Aber ich bin schon wieder gefasst. „Es ist nichts Besonderes", sage ich.<br />
Dann essen wir unser Mittagbrot. Auf die Bitte Sophies lege ich mich in ihr Bett und schlafe. Als ich<br />
erwache, sitzt Sophie immer noch — oder schon wieder — an meinem Bett. Ich sehe mich um; wo bin<br />
ich ? Träume ich ? Sie streckt mir die Hände entgegen. „Komm, es ist Zeit. Ich wollte dich nicht<br />
wecken, du hast gut geschlafen."<br />
Ich nehme alle Aufmerksamkeiten und alle Fürsorge entgegen wie ein Almosen. Ein Soldat auf Urlaub<br />
ist weder Soldat noch Mensch. Er ist nichts und hat nichts und lebt von der Gnade seiner Angehörigen.<br />
Den Kuss, den ich Sophie gebe für ihre Liebe, gebe ich ihr wie ein Bettler. Ich weiß nicht, ob sie das<br />
begreift, ihre lachenden Augen sind nicht klar.<br />
Ich habe Sehnsucht nach Klaus. Sein Schweigen tat mir so wohl. Mit Klaus brauche ich nicht über die<br />
Dinge reden, über die ich nicht reden will. Klaus scheint alles zu verstehen.<br />
Ich freue mich, dass er uns schon vor der Tür erwartet. Martha grüßt aus dem Fenster. An Alfreds<br />
Wohnung bleibe ich unwillkürlich stehen. Ich muss erst Lotte begrüßen.<br />
„Ach! Hans!" Ihr von Sorgen gehärtetes junges Gesicht zerfließt einen Augenblick. In einem<br />
Waschkorb schläft schon der kleine Maußner. Ich hatte längere Zeit keine Post von Alfred. „Alfred ist<br />
doch noch wohlauf?" frage ich.<br />
„Hoffentlich ist es nicht schlimm", antwortet sie merkwürdig ernst.<br />
Klaus drückt verstohlen meine Hand. Ich verstehe ihn auch sofort und sage: „Wenn es schlimm wäre,<br />
würde er es Ihnen schon mitgeteilt haben. Sie dürfen sich keine unnötigen Sorgen machen. Grüßen Sie<br />
ihn, wenn Sie schreiben."<br />
„Wie lange haben Sie Urlaub ?"<br />
„Acht Tage."<br />
Martha steht an der Tür und reicht mir beide Hände. „Bist ja in Zivil", sagt sie. „Ich würde dich<br />
bestimmt verpasst haben, wenn du allein gekommen wärst."<br />
„Mein Ehrenrock ist mir zu schade zum Herumlungern."<br />
Sie schaut mich groß an, als überlege sie. Sie lehnt an der Wand, hält immer noch lose meine Hände<br />
und sagt: „Ja, du bist es, Hans Betzoldt!"<br />
Wir essen. Mir fällt das Sprechen recht schwer. Von der Wand herab lächelt kalt der Grenadier Georg<br />
Fidel. Er ist in Feldgrau, feldmarschmäßig; so, wie er in den Tod ging.<br />
„Du musst dich durchbeißen", sagt Klaus. Ja, wohin durchbeißen ? Ich ahne wohl, was du sagen willst,<br />
und du magst recht haben. Aber?<br />
Aber!!<br />
Ich weiß nicht, was in mir zerbrochen ist. Sophie ging betrübt zur Arbeit, und ich blieb beschämt und<br />
unzufrieden zurück. Auf alle Fragen, alle Andeutungen dieselbe Antwort: „Was sollen wir machen ?"<br />
Die Klage hängt an den bleichen Gesichtern, wo die Anklage an allen Ecken emporzüngeln müsste.<br />
„Für unsere tapferen Feldgrauen!" Für sie sind die besten Zigarren, Wurst, Speck, Wäsche,<br />
Gamaschen, Leibbinden, Butter, Läusesalbe, Schnaps, alle Herrlichkeiten in allen Schaufenstern. Auf<br />
einer der Ansichtskarten liegt einer der Feldgrauen im seligen Traum von dem Likör, der angepriesen<br />
wird. Zeltbahnen, Brotbeutel, Tornister, Rucksäcke, Gamaschen in großen Posten zu Tagespreisen.<br />
„Für unsere tapferen Feldgrauen." — Viel Geld musst du haben, wenn du zu den Tapferen gehören<br />
willst.<br />
Durchhalten! In allen Zeitungen schmieren erbärmliche Schufte an den Dingen vorbei, um die es geht.<br />
„Durchhalten!"<br />
Der Infanterist Alfred Maußner schreibt an Klaus, weil er seine Frau nicht quälen will. „Ich lag zwei<br />
Stunden in meinem Blut. Ein Schuss durch den Mund machte mir das Schreien unmöglich. Aber ich<br />
hörte noch, wie einer sagte: ,Lasst ihn liegen, der ist fertig, deckt ihm eine Zeltbahn drüber.' Als ich<br />
aus der Ohnmacht erwache, ist mein Tornister ausgeplündert."<br />
Nach allen Fronten schwimmt Ersatz, fahren Millionen in den Tod, ununterbrochen; und über den<br />
Frieden schwätzen und entscheiden die, die abends ihre Prozente zählen oder in ihren Diensten stehen.<br />
So wird niemals Friede werden! Zuchthäusler werden durch kaiserliche Gnade zu Ehrenmännern,<br />
wenn sie nach der Ehre gelüstet, mit einzustimmen in das Geschrei der Prozentpatrioten und für sie<br />
ihre „Pflicht" zu tun.<br />
34