Adam Scharrer – Vaterlandslose Gesellen (1930) - linke-buecher.net
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Der Posten horcht in die Nacht. Was schnarcht da so furchtbar ? Sie finden mich im Zementschuppen<br />
auf den Säcken, völlig bewusstlos, bei zehn Grad Kälte.<br />
Stellungswechsel!<br />
Die Batterie packt, zieht fort, kein Mensch weiß, wohin. Im Westen verschlingen die Granaten täglich<br />
Zehntausende — keiner sagte nein, fragte man ihn, ob er hier fort und dorthin wolle. Sie gehen auch<br />
hier zugrunde, nur langsamer, noch qualvoller.<br />
Aber wir ziehen nur ein wenig nach rechts oder links; heute wieder nach rechts. Die Infanterie hat<br />
schon Wochen vordem gerüstet. Minenwerfer sind in Stellung gegangen. Die alte Stellung soll wieder<br />
genommen werden.<br />
Wir fahren in der Nacht durch einen sandigen Hohlweg, dann durch ein Dorf, dessen Häuser aus<br />
anderen Dörfern zusammengeholt und wieder aufgebaut wurden. Hinter dem Dorf deckt uns eine<br />
Allee alter Laubbäume. Die Batterie soll dann rechts über die Sanddünung auffahren, vor der ein<br />
großer Teich liegt. Unter dem Schutz der alten Bäume machen wir halt, die Munitionskolonne hält im<br />
Hohlweg.<br />
Zweihundert Meter in der Sanddünung ist die Stellung für uns ausgeworfen, vor einer sich wellig<br />
hinziehenden Anhöhe. Dahinter erhebt sich eine etwas höhere Hügelkette, aus der es wie Steinbrüche<br />
herausleuchtet. Die Russen drücken hier dauernd auf die deutsche Infanteriestellung. Der erste Graben<br />
ist schon geräumt, er lag vor der Hügelkette. Ein weiterer erfolgreicher Durchbruch durch die<br />
Reservestellung macht das Dorf mit seinem Proviantamt, Verbandplatz und der Krankensammelstelle<br />
zum direkten Ziel der russischen Maschinengewehre. Die Hügelkette muss wieder frei von Russen<br />
sein.<br />
Wir sollen noch in der Dunkelheit auffahren und um 4,30 Uhr feuerbereit sein. Über uns liegt ein<br />
klarer Himmel, über dem kleinen See eine Eisschicht, die schon trägt. Vorn lebt schon gleich nach<br />
Mitternacht das Gewehr- und Maschinengewehrfeuer auf, dazwischen die dröhnenden Einschläge der<br />
Minen. Das Konzert der einsetzenden Artillerie läuft von links und rechts her zusammen. Russische<br />
Granaten und Schrapnells tasten sich von links an dem See herauf, kommen näher; eine Granate<br />
explodiert auf dem Eis und wirft eine Riesenfeuersäule hoch, die klatschend auf das Eis zurückfällt.<br />
Die Batterie sitzt auf, fährt im Trab auf die Sanddünung — bricht durch die dünne Decke, die Räder<br />
sinken ein, die Last zwingt die Pferde zum Schritt. Sie ziehen schnaubend, immer tiefer versinken die<br />
Kanonen. Die Steigung macht sich bemerkbar, das erste Geschütz sitzt schon fest, hundert Meter vor<br />
der Stellung. Munitionskörbe fliegen in den Schnee.<br />
Wir schaufeln frei, die Pferde ziehen von neuem an. Ein Gaul wiehert laut in den dämmernden<br />
Morgen. Vor uns, hundert Meter vor der ausgeworfenen Stellung, heulen zwei Einschläge auf.<br />
Steinbrocken poltern zu Tal, Batzen gefrorener Erde springen aus dem Wald und werfen sich hart vor<br />
uns hin. Der stählern singende Ton der Brisanzgranaten kriecht warnend an unseren Ohren vorüber,<br />
über den Weiher, als schon der Abschuss der zweiten Salve aufzuckt. „Wui wui owuiee — Kramssss<br />
— Ha Summ!"<br />
„In die Speichen!"<br />
Am zweiten Geschütz schlägt ein Mittelpferd unausgesetzt hintenaus, steigt dann vorn hoch, springt<br />
trotz aller Hiebe über die Stränge, will zurück, fällt um und schlägt im Liegen um sich. Man schneidet<br />
es aus den Strängen; es springt schreiend auf und beißt dem Fahrer, der es halten will, den Oberarm<br />
durch. Dann stürzt es davon, überschlägt sich, springt wieder auf, kommt bis zum Weg am Weiher,<br />
überschlägt sich noch einmal. Dann kommt es nur noch mit Kopf und Vorderbeinen hoch, scheint sich<br />
dauernd auf die herabhängenden Stränge zu treten oder auf das Sattelzeug, das ihm unter dem Leib zu<br />
hängen scheint. Gibt dann seine Anstrengungen auf und fällt schwer auf die Erde.<br />
Das erste Geschütz ist in Stellung; sämtliche Mannschaften liegen in den Speichen oder schieben. Eine<br />
neue Salve setzt einen Volltreffer zwischen die Munitionskörbe. Die Fetzen fliegen in die Luft. Es<br />
explodiert zum Glück nur eine Granate.<br />
„Kanoniere hierher!"<br />
Am zweiten Geschütz sammeln sie sich nicht mehr vollzählig. Einer liegt über dem Haufen zerrissener<br />
Geschoßkörbe auf dem Rücken, als ging ihn das alles gar nichts an. Einer erhebt sich langsam, wankt<br />
und schreit: „Ich verblute! Ich verblute 1" Wir haben keine Zeit zu sehen, was ihnen fehlt. Wir müssen<br />
in Deckung — um jeden Preis. Die Pferde werden ausgespannt, abgeprotzt und die Lafetten über den<br />
gefrorenen Boden geschoben. Es geht alles durcheinander, zwei Richtkanoniere fallen aus. Die Hälfte<br />
steht wie vom Schreck gebannt, immer auf dem Sprung, sich hinzuwerfen.<br />
Die Telefonisten ziehen Drähte hinter die Stellung unter die hohen Bäume, hinter denen der<br />
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