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Adam Scharrer – Vaterlandslose Gesellen (1930) - linke-buecher.net

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wir begehen ein Verbrechen an uns selbst! Sollen wir denn zu erbärmlichen Schuften werden?"<br />

Walter fischt mit den Händen vor sich in der Luft, als wolle er das, was er besser aussprechen möchte,<br />

ausbreiten. Sein knochiges Gesicht ist blass; als rede er für seine Kameraden draußen, steht er da —<br />

und stockt wieder. Er wischt sich den Schweiß von der Stirn, besinnt sich, man sieht es ihm an, er<br />

möchte einen Abschluss finden.<br />

„Wisst ihr, wer wirklich zur Sache gesprochen hat ? Wisst ihr das ?" schreit Walter mit einemmal. Er<br />

lauert wie nach dem aufbellenden Abschuss einer Kanone, steht da, als wolle er sich hinwerfen. Da<br />

löst sich das Echo. „Liebknecht!" ruft einer, dann bleibt es wieder still. Auch Walter sagt nichts mehr.<br />

Der Vorsitzende erhebt sich wieder: „Kollegen! Die Versammlung ist als gewerkschaftliche<br />

Versammlung angemeldet. Wir sind dafür verantwortlich, dass der Rahmen nicht überschritten wird.<br />

Ich muss dem Kollegen das Wort entziehen." Walter steht immer noch wie vor dem Sprung und<br />

schreit dann in den Saal: „Kollegen — ich habe euch auch nichts mehr zu sagen!" Springt von der<br />

Bühne und geht rasch durch die Stühle, der Tür zu. Einige Genossen folgen ihm.<br />

„Kollegen, wir kommen nun zum zweiten Punkt: Der Konflikt in der Branchenkommission. Das Wort<br />

hat der Kollege----------"<br />

„Ich denke, der Saal muss geräumt werden ?" „Wir haben um die Erlaubnis nachgesucht, eine Stunde<br />

länger zu tagen!" „Na, dann tagt man!" Die Versammelten erheben sich.<br />

Eine Militärpatrouille erscheint in der Tür, begibt sich an den Tisch der Versammlungsleitung und<br />

fragt irgend etwas.<br />

Ich laufe rasch, aber unauffällig, nach der Toilette, um nach Walter und den anderen Genossen zu<br />

suchen, aber sie sind bereits verschwunden.<br />

Sophie war schon unruhig. „Bleibst ja so lange, Lütting!" begrüßt sie mich.<br />

„Ja, es hat etwas länger gedauert!"<br />

„Hast du wieder gesprochen ?"<br />

„Wieder ?" Ich stutze. „Wieso wieder ?"<br />

„Hast doch in der Betriebsversammlung gesprochen!"<br />

„Woher weißt du das ?"<br />

„Fräulein Blank, hier im Hinterhaus, ist auch bei euch. Sie war heute morgen hier. Sie ist ganz futsch<br />

in dich. ,Sie können stolz sein auf Ihren Mann', hat sie gesagt!"<br />

„Bist du mir böse, dass ich dir das verschwieg?"<br />

Sie steht ungezwungen vor mir, ihr starker Leib hebt sich unter der weißen Schürze prall und hoch ab.<br />

„Nein, Lütting, ich bin dir nicht böse! Nur erzähle mir bitte immer alles. Wenn ich weiß, dass du mir<br />

etwas verschweigst, das ist dann noch schwerer."<br />

Wir essen — es ist Sonntag — unsere Fleischration für die ganze Woche. Ich muss mir die<br />

Versammlung vom Herzen reden. Sophie hört zu, wird ernst, sieht durch das kleine Mansardenfenster<br />

über die Häuser.<br />

„Bist du traurig, Sophl ?"<br />

„Ein bisschen, ja. — Ich möchte immer dabei sein, möchte mehr helfen können."<br />

Ich verstehe das nicht ganz. Denkt sie nicht an die Gefahr ? An ihre Stunde ?<br />

Vielleicht verstehe ich das nie.<br />

XXV<br />

Bleiern schleppen sich die Wochen hin, die Monate, durch den Herbst, in den Winter.<br />

Frau Löter rennt die Treppe hinunter, als ich komme. Warum rennt sie so, grüßt so schüchtern?<br />

„Sie hat um ein paar Körner gebeten", erzählt Sophie, „sie trinkt morgens mit ihren Kindern warmes<br />

Wasser. Möcht doch ein bisschen zu brühen haben. Sie ging rasch, als sie hörte, dass du bald kommst.<br />

Du machst immer ein so finsteres Gesicht, sagt sie."<br />

Ich lache wieder pflichtschuldigst. Was tut der Mensch nicht alles, wenn er am Ende ist?<br />

Sophie verfällt so. Alle Kraft im Körper scheint in den Leib zu flüchten. Sie trägt ihr Kreuz tapfer,<br />

schaut aber öfter so gequält um sich. Was nützt aller mühselige, leere Kampf? Die gegenseitige<br />

Täuschung verschlingt die letzten Energien, dann sitzt der eine am Fenster, der andere am Tisch, und<br />

jeder weiß: Ich bin nicht du, und du nicht ich. Sophies Mund kräuselt sich in stummem Trotz, fällt<br />

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