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Adam Scharrer – Vaterlandslose Gesellen (1930) - linke-buecher.net

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Zersplitterer. Aber sie reden um den Konflikt herum. Nur bei gelegentlichen Kraftworten hagelt es<br />

Proteste.<br />

„Es ist jetzt zwölf Uhr. — Um ein Uhr muss der Saal geräumt werden."<br />

Protestrufe und ein vielsagendes Aha! sind die Antwort auf die Mitteilung des Versammlungsleiters.<br />

Da kommt Walter zum Wort.<br />

Er steht in seinem alten Soldatenmantel, die eine Hand auf dem Tisch, schief, er ist zu groß, um sich in<br />

gerader Haltung aufstützen zu können. Er sucht im Raum, wie nach einem Halt, scheint ihn nicht zu<br />

finden, sieht zu Boden und wieder hoch, tritt von einem Fuß auf den andern. Es ist still im Saal. Der<br />

große, unbeholfene Walter, der schon so vielen Halt war im mörderischen Granatfeuer, ist kein<br />

Redner. Die Versammlung scheint das zu merken, wartet.<br />

„Kollegen!" kommt es ganz leise aus dem Munde des Riesen, so leise, dass prompt das „Lauter!"<br />

folgt. Walter stutzt, als wäre er erschrocken. „Kommt noch!" sagt er dann wieder, als spreche er zu<br />

einem Kameraden im Granattrichter.<br />

„Kollegen, ich bin kein Redner. Aber ich glaube, es kommt darauf gar nicht an!"<br />

In den letzten Satz legt er alle seine Energie. Es fällt ihm sichtlich schwerer, als zwei Zentner von der<br />

Bühne in den Saal zu schleudern. Die Versammlung scheint das zu fühlen. Das „Sehr richtig" klingt<br />

wie eine Ermunterung. Walter wird sicherer und fährt fort: „Ich weiß nicht, Kollegen, ich komme mir<br />

hier vor wie ein Fremder. Das ist doch alles so lächerlich, was ihr hier vorbringt." „Sehr richtig!"<br />

„Nanu!" „Maul halten!"<br />

Walter zittert. Die Zwischenrufe bringen ihn sofort aus dem Konzept. Aber nur einen Augenblick.<br />

„Jawohl, so lächerlich!"-------<br />

„Genossen!" beginnt er dann wieder, lauter, aber ruhig: „Ihr müsst euch einmal vorstellen: ein Kollege<br />

kommt von draußen. Ist vielleicht mit fünfundzwanzig Mann zurückgekommen von einer<br />

kriegsstarken Kompanie. Die andern zweihundert liegen im Dreck, verbluten oder sind tot. Und andere<br />

Kompanien treten an, denselben Weg. Jeden Tag, jede Stunde. Und der Soldat kommt nun nach<br />

Deutschland. Er sieht seine Kinder, krumme Beine, Falten wie Greise, in Papierfetzen gewickelt,<br />

verhungern. Und er sieht die Kriegsschieber, das Pack in den Fress- und Saufpalästen, wie sie<br />

,Deutschland, Deutschland über alles' singen."----------<br />

Der Versammlungsleiter erhebt sich, klingelt leise, Walter wird irre, stockt.<br />

„Ich muss dich bitten, Kollege, zur Sache zu sprechen."<br />

Walter ist vollkommen sprachlos, ringt nach Worten, bringt aber nur ein saures Lachen zustande. —<br />

Ein Lachen, das wie Sprengpulver wirkt.<br />

„Saubande!"<br />

„Schnauze halten!"<br />

„Schmeißt sie raus!"<br />

Ein Proletarier springt auf die Bühne und fuchtelt mit der Faust vor den Nasen hinter dem Tisch.<br />

Andere suchen zu beruhigen, schieben die Erregten sanft beiseite. Ein glatzköpfiger Soldat muss mit<br />

Gewalt entfernt und an seinem Platz festgehalten werden. „Merkt euch das!" schreit er immer. „Merkt<br />

euch das ein für allemal! — Ihr Halunken!"<br />

Der Vorsitzende ermahnt von neuem: „Kollegen, wir müssen in einer halben Stunde den Saal räumen.<br />

Wir müssen doch unsere Tagesordnung erledigen!"<br />

„Halt jetzt endlich die Schnauze mit deiner Tagesordnung."<br />

„Ruhe!"<br />

Walter kommt wieder zu Wort und beginnt: „Gehört denn das nicht zur Sache, Kollegen ?"<br />

Ein vielstimmiges „Sehr richtig!" ist die Antwort.<br />

„Geht das, wie die Kollegen draußen verrecken, euch nichts an? Geht euch das nichts an, wenn<br />

Reichpietsch und Köbes an die Wand gestellt werden?<br />

Wenn in unserer Zeitung jeder infame Schwindel noch unterstützt wird ?<br />

Wenn eure Frauen in den Munitionsfabriken zusammenbrechen ?<br />

Wenn ihr selbst schon bald verhungert seid?<br />

Wenn alle Kollegen, die ein Wort sagen, den Schein bekommen ?"<br />

Walter hält erregt inne. Er schrie das hinaus wie einen Protest auf die Aufforderung, zur Sache zu<br />

sprechen.<br />

Als die Zustimmung sich legt, verfällt er wieder in seinen Ton. Erzählt leise, wie für sich: „Kollegen,<br />

ihr streitet euch hier um einen Dreck! Seht ihr denn nicht, was los ist! Man kommt hierher, aus dem<br />

Leichenfeld. Hunderttausende gehen jeden Tag hinaus und wissen nicht, was ihnen blüht. Kollegen,<br />

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