Adam Scharrer – Vaterlandslose Gesellen (1930) - linke-buecher.net
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„Wir wollen endlich Einigkeit!"<br />
Riedel: „Kollegen, wir dürfen nicht so fortfahren. Es steht zuviel auf dem Spiel. Wir müssen zur<br />
Sitzung. Wenn ihr andere Vorschläge machen wollt, ich will nicht im Wege sein."<br />
„Wünscht noch jemand das Wort? — Dann kommen wir zur Abstimmung, ob die alte Streikleitung<br />
des Betriebes weiter das Vertrauen hat."<br />
Eine Minderheit stimmt dagegen. Langenscheid lacht bitter, Krüger schüttelt mit dem Kopf. „Da<br />
staunste!" sagt er sarkastisch, zu mir gewandt.<br />
Die Funktionärsitzung löst sich auf. Wir gehen zusammen fort. Militärpatrouillen marschieren durch<br />
die Warschauer Straße mit geschultertem Gewehr. Wir gehen um die Ecke, sehen die streikenden<br />
Arbeiter an der Mauer auseinander gehen, als die Blauen „Weitergehen!" kommandieren. Der Kriegsbericht<br />
kündet von dem „Frieden" mit Russland und dem „heldenmütigen Widerstand" der deutschen<br />
Truppen im Westen. Am Schlesischen Bahnhof steht eine lange Menschenmauer feldmarschmäßig<br />
eingekleideter Soldaten, die auf den Zug warten, der sie hinausfährt. Wir steigen in die Vorortbahn.<br />
Krüger bricht zuerst das Schweigen:<br />
„Was soll nun noch kommen ?"<br />
Langenscheid schaut wie gelangweilt auf das Schild im Wagen: „Seid vorsichtig bei Gesprächen,<br />
Spionengefahr!" und stellt fest: „Dass wir noch mal Wasser saufen gehen, damit musste man von<br />
vornherein rechnen."<br />
„Die werden schön aufräumen", antwortet Krüger kopfnickend.<br />
„Lass sie. Wir auch, wenn's soweit ist", gibt Langenscheid zurück.<br />
Der Streik bringt die Gemüter hart aneinander. Ich gehe die Treppe hoch und höre: „Ziehen Sie sich<br />
doch Hosen an, und gehen Sie selbst hin, Sie olles dämliches Weib!" Es ist Frau Lösch, ihr Mann ist<br />
seit Beginn des Krieges in französischer Gefangenschaft. Sie sagt das zu Frau Garben. Deren Mann<br />
sitzt in Belgien, ist Offiziers Stellvertreter, im Nebenberuf Postbeamter. Frau Garben ist empört und<br />
schlägt die Tür zu. Die Treppe steht voll Frauen.<br />
„Wenn sie's bloß schaffen!"<br />
„Frau Betzoldt hat ganz recht: Keiner müsste mehr hingehen. Lass sie ihren Krieg allein machen."<br />
„Frau Betzoldt?" Ich öffne — da steht Sophie angezogen in der Küche.<br />
„Willst du sofort ins Bett!"<br />
„Lass mich doch, war ein bisschen auf, da hörte ich den Krach. Die Frau Garben hat hier auf die<br />
Streikenden geschimpft und gesagt, sie hätten noch ganz anders dazwischenschlagen müssen. Das hat<br />
mich doch zu sehr gewurmt. Ich hab ihr ordentlich heimgeleuchtet und dadurch ist hier eine richtige<br />
Versammlung zustande gekommen. Die ganzen Frauen im Haus haben ihr gegeben, was sie braucht."<br />
„Leg dich wieder hin, bitte, das andere mache ich schon."<br />
„Ich muss mich doch wieder gewöhnen. Die Hebamme hat's mir erlaubt. — Wie steht's mit dem Streik<br />
?"<br />
„Schlecht."<br />
„Warum ?"<br />
Ich erzähle.<br />
Ihr blutleerer Mund zittert: „Dann werden sie alle holen", sagt sie ganz erschrocken.<br />
„Lege dich hin, Sophie. Du darfst dich nicht aufregen. Es ist noch lange nicht soweit."<br />
Ich schaue auf die schlafende Puppe im Korb. Ich bin der Vater. Ich habe gehört, wie Väter ihre<br />
Kinder lieben, wie sie dadurch zu ganz anderen Menschen werden.<br />
Bin ich ein anderer geworden ? Ich habe kein Bedürfnis, das Kind zu nehmen, es zärtlich zu berühren.<br />
Mir ist es, als gehöre ich gar nicht hierher.<br />
Sophie ahnt davon nichts, ich spreche auch nicht davon. Spreche auch nicht davon, als jeden Tag<br />
deutlicher wird, dass die Einigkeit der Streikenden zerbricht. Sie fragen schon: „Holen sie alle?"<br />
Die Rädelsführer vielleicht ? Es ist gut, sich zurückzuhalten. — Vielleicht macht doch die<br />
Sozialdemokratie die Maßregelungen rückgängig? Wenn nicht bei allen, so doch bei denen, die ihre<br />
Kriegspolitik nicht brandmarken.<br />
Die Solidarität wird von individuellen Spekulationen zerfressen. Das Ende wird deutlich. Die<br />
Strömung entschwindet wieder in die Tiefe. Spartakus bleibt wieder isoliert. Die Arbeit wird<br />
aufgenommen.<br />
Die meisten schleppen sich bereits wieder stumm in die Granatenfabriken, der Krieg geht weiter, der<br />
Hunger bleibt.<br />
Massenweise wandern die andern hinaus auf das Feld der Ehre, von den Betrieben gezeich<strong>net</strong>,<br />
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