Adam Scharrer – Vaterlandslose Gesellen (1930) - linke-buecher.net
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„Raus, nach vorn!"<br />
Die Hintersten brüllen und sind froh, dass sie nicht durchkönnen und einen Grund haben, sitzen zu<br />
bleiben. Franz schaut misstrauisch durch die Tür. Dann holt er aus einer Kiste ein Paket hervor, das er<br />
tags zuvor bekam. In ein vierkantiges Klötzchen sind mit dem Zentrumsbohrer kunstgerecht drei<br />
Löcher gebohrt; in jedes Loch ist ein Fläschchen Schnaps gepresst. „Trink, Hans", sagt er, „ehe ihn<br />
vielleicht die andern aussaufen!" — „Trink, Junge", sagt er dann zu Döring, „trink, eh dir schlecht<br />
wird!"<br />
Dann steckt er das Holz mit zwei noch fast vollen Fläschchen hinten in die Schlitztasche. Die<br />
Granaten toben um den Unterstand — ein Treffer, und wir sind erst recht erledigt in dieser<br />
erbärmlichen Bude. Wir sehen uns nur noch einmal stumm an. Daimlers roter Stoppelbart, der bis über<br />
die Schläfen läuft, lässt die Hautfarbe schlecht erkennen. Mir scheint, er ist ganz blass.<br />
Ratsch a ha! — Ein Einschlag, ganz dicht, wirft uns auf den Bauch.<br />
„Sprung auf, marsch, marsch!"<br />
Wir müssen den Laufgraben erreichen. Von unserem Graben schießt schon französische Besatzung.<br />
Neben mir schreit einer auf und stürzt vornüber.<br />
Diese Hunde!<br />
Schnellfeuer 1<br />
Kein Mensch kann sich ohne Deckung halten.<br />
„Sprung auf, marsch, marsch!"<br />
Der Unteroffizier stürzt vor, wirft sich wieder hin und krümmt sich wie in Krämpfen. Ich bin hinter<br />
ihm, sehe mich um — und sehe, dass hinter mir nichts ist. Aber ich habe Deckung, werfe mich hinter<br />
einen Haufen Sand.<br />
Drüben im Laufgraben ist nichts zu sehen. Ob sie schon vorn sind ? Aber die Franzosen schießen wie<br />
verrückt. Rechts vor mir stürmt ein Trupp, so an zwanzig Mann vielleicht. Sie schießen ganz ohne<br />
Ziel, einer nach dem andern schreit auf und bleibt liegen. Sechs Mann haben sie schon niedergeknallt.<br />
Himmelkreuzdonnerwetter! — Hunde!<br />
Ganz fein, aber deutlich sehe ich einen Gewehrlauf vorkriechen, ein Käppi hinter ihm auftauchen.<br />
Warte, du Schwein!<br />
„Peng!" und schon wieder fällt einer der Unseren und wälzt sich; mir scheint, als wäre es immer<br />
dasselbe Gewehr.<br />
Habe ich ihn erwischt ? Sein Käppi fliegt fort.<br />
Klatsch!<br />
Sand spritzt mir ins Gesicht.<br />
Ein neues Käppi taucht auf.<br />
Patsch, er wankt hintenüber.<br />
In drei Sprüngen bin ich im Laufgraben. Er ist vollgepfropft. Keiner will vorgehen, keiner will der<br />
erste sein, keiner als Deckung für die anderen dienen; ich bin der erste und werde geschoben.<br />
So, schleichend, die Kugel erwarten ?<br />
Feiges Gesindel!<br />
Eine unbeschreibliche Wut packt mich.<br />
Hunde!<br />
Als ich den Graben erreiche, ist er von dem stürmenden Trupp, von dem die Hälfte totgeblieben ist,<br />
von rechts her bereits aufgerollt und gesäubert. Ich springe über zwei Tote; dort brüllt einer<br />
jämmerlich, ein gurgelndes Brüllen. Er hat einen Halsschuss und kann, trotzdem ihm bei jedem Schrei<br />
das Blut aus dem Halse spritzt, nicht sterben. Neben ihm liegt ein anderer, scheinbar ganz ruhig. Ich<br />
versuche, ihn aufzuheben — da wimmert er schwach.<br />
— Ich fasse in Blut und Därme, die nur durch den Waffenrock notdürftig verdeckt sind.<br />
Unsere Verluste sind nicht „groß". Vielleicht so an die dreißig Mann. Die der Franzosen sind größer.<br />
Behrend hat allein sechs niedergeschossen, die aus einem Granatloch überlaufen wollten. Die jungen<br />
verschüchterten Bürschlein schleppten nichtsahnend ihre Gewehre an den Läufen mit. Jeder sah, dass<br />
sie nichts wollten, nur Behrend nicht. Er wollte — als Elsässer — jeden Verdacht abschütteln, dass er<br />
nicht zuverlässig sei. Er hätte noch mehr niedergeknallt, wenn ihm nicht einer das Gewehr aus der<br />
Hand geschlagen hätte.<br />
Die Franzosen erreichten ihren Graben nur zum Teil, die andern hocken noch vor uns in den Löchern<br />
und müssen sich ergeben.<br />
Ich gehe wieder zurück, an den beiden Toten vorbei. Der Kopf ist ihnen über den Augen aufgerissen.<br />
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