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Adam Scharrer – Vaterlandslose Gesellen (1930) - linke-buecher.net

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schwerer Kanonendonner zu hören. Unsere Kanonen stehen wie verlassen im Schnee. Die Batterie<br />

schießt gelegentlich irgendwohin, wie Übungsschießen, öfters auch von einer andern Stellung und<br />

kehrt wieder zurück.<br />

Die hohen Fichten und Föhren des unendlichen Waldes stehen wie riesige Zuckerhüte. Die<br />

mondklaren Nächte sind lang, unerträglich in ihrer monotonen Kälte und in ihrer Ruhe. Man ist<br />

versucht, steht man als Posten in einer solchen Nacht, die Frage zu stellen, ob dieses stumpfsinnigverbrecherische<br />

Beginnen, tief im Innern Russlands „das deutsche Vaterland zu verteidigen", noch<br />

überboten werden könne.<br />

Und doch ist schließlich jeder froh, dass der mit Pferdemist gemauerte Ofen endlich angesteckt<br />

werden kann, ein Riesenfeuer die starren Finger und Füße erwärmt und den Aufenthalt des Nachts<br />

erträglich macht.<br />

Die Befehlsgewalt der Unteroffiziere zeigt sich in ihrer ganzen Lächerlichkeit: die Elite des deutschen<br />

Heeres, die Einjährig-Kriegsfreiwilligen, laufen herum wie kranke Hasen.<br />

Die Proletarier haben auch vor dieser Zeit oft kein Dach über dem Kopf gehabt, waren heimatlos in<br />

ihrer Heimat, aßen in Zeiten der Arbeitslosigkeit schäbige Reste. Sie sind auch hier den Strapazen<br />

besser gewachsen. Die Herrensöhnchen, die zum ersten Mal ohne Wärmflasche schlafen, zum ersten<br />

Mal nach diesem groben Sport die temperierte Stube, das warme Bett,<br />

die Bedienung vermissen, verkörpern die trostlose Ängstlichkeit verlaufener Küken, die sich mit<br />

einem komischen Ernst paart. Sie wollen alle Helden sein und haben nicht den Mut, gegen die brutale<br />

Verhöhnung durch die Offiziere zu protestieren. Sie haben Angst, sich irgendwie mit den<br />

gewöhnlichen Muschkoten zu solidarisieren. Der Idealismus der bourgeoisen Jugend schrumpft hier<br />

zusammen zu einem kläglichen Häuflein Feigheit, Lächerlichkeit und Hilflosigkeit.<br />

Gustav kommt alle zwei Tage mit dem Lebensmittelwagen oder -schütten. Er kümmert sich nicht<br />

darum, in „Verdacht" zu kommen, in schlechter Gesellschaft zu sein, kommt freudig auf mich zu und<br />

reicht mir die Hand. Ich weiß, dass er Werner besuchte, und frage ihn.<br />

„He is noch schlechter fohrt as Armbrecht!"<br />

„Wie meinst du das ?"<br />

„Se häwt em beide Feut absägt."<br />

Wir schleppen Brot und sonstigen „Empfang" in den Unterstand. Gustav kommt noch einen Moment<br />

nach, wärmt sich die Hände und geht wieder.<br />

„Tschüs, Gustav —"<br />

„Tschüs, Hans — hol di munter!"<br />

„War wi schon moken." Der Falbe, der Wilzkis Schokolade fraß, tänzelt spielerisch in den Trab<br />

hinein, Gustav dreht sich noch einmal um und winkt mit der Peitsche.<br />

Ich lese meine Post. Sie kommt, wie ein Wunder, bis an die Rokitno-Sümpfe. Ein längerer Brief von<br />

Sophie ist dabei.<br />

Sie arbeitete bei Blohm & Voß. Sie klagt nicht, will mich nicht beunruhigen, aber die bloße<br />

Aufzählung der Tatsachen sagt genug.<br />

Man zwingt die Frauen, Hosen anzuziehen. „Ich bin groß" — schreibt sie — „und in den Hosen treten<br />

die Formen des Körpers schärfer hervor. Ich hätte nicht geglaubt, dass viele deutsche Arbeiter keine<br />

anderen Sorgen haben, als lüstern nach den Frauen zu schielen, ihre einzige Unterhaltung sind banale<br />

Anspielungen, und sie sehen hauptsächlich in den ,Kriegerwitwen' die Objekte, auf die man ungestraft<br />

Jagd machen darf. Ich wollte eigentlich sofort wieder gehen, aber ich arbeitete mit einem Menschen<br />

zusammen, der mir sehr viel war; er schonte mich, wo er konnte, griff das Vorhalteisen immer selbst<br />

mit einer Hand, wenn er nietete, gab mir von allem, was er von seiner Frau geschickt bekam,<br />

verdeutschte mir die Briefe, die sie ihm schrieb, schenkte mir beiliegendes Bild."<br />

Ich besehe mir das Bild: ein noch junger Mann und seine Frau mit einem kleinen Jungen. Adresse und<br />

Text sind in französischer Sprache.<br />

Dieser gefangene französische Arbeiter ist der einzige Mensch in diesem Betrieb, der Sophie „was<br />

sein konnte".<br />

Bis der Betriebsleiter, der darüber wacht, dass die Ehre der deutschen Frauen nicht angetastet wird,<br />

mit der Schmach ein Ende machte, dass deutsche Frauen mit gefangenen Feinden zusammen arbeiten<br />

— und anscheinend vergessen, dass ihre vaterländische Pflicht ist, diesen ohne Schwäche ihre<br />

Verachtung zu zeigen. Dass deutsche Frauen den gefangenen Franzosen, die nie die Werft verlassen<br />

dürfen, zu ihrem eintönigen Fraß für ihr Geld einige Abwechslung mit hereinbringen, einmal eine<br />

französische Tafel Schokolade, ein Stück Weißbrot untereinander teilen, ist ein unhaltbarer Zustand.<br />

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