Adam Scharrer – Vaterlandslose Gesellen (1930) - linke-buecher.net
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nun wisst ihr's!"<br />
Langenscheid geht wieder an seine Bank und kümmert sich um nichts mehr. Brunner grinst<br />
verächtlich, nickt von einem zum andern, als wolle er sagen: Fauler Kunde! und erzählt von den<br />
Opfern, die er schon gebracht, wie er immer im Stich gelassen worden sei, und jetzt die Nase voll<br />
habe. Aber er stößt überall auf Schweigen — oder auf Widerstand. Sein schleimiges Getue ist mir<br />
zuwider. „Langenscheid hat vollständig recht!" sage ich.<br />
Brunner ist beleidigt und macht seine „Aktion" allein. Er erhält die Erlaubnis, pro Stunde zehn Pfennig<br />
mehr schreiben zu dürfen wie wir; er ist schon seit Beginn des Krieges bei der Firma, dauernd<br />
reklamiert und „eingearbeitet".<br />
Ein Suchen und Tasten ist das alles, ein Drehen im Kreise, Rückkehr zum Ausgangspunkt. Wo<br />
irgendwo ein Nacken sich steift, ein Mund sich öff<strong>net</strong>, fassen die Häscher rasch zu. Sie wissen, die<br />
Revolution hockt im Dunkeln. Ein Schrei, noch einer, ein dritter — und die Geister des Umsturzes<br />
sind alarmiert.<br />
In Petersburg stürmten die Massen die Brotläden. Kugeln pfiffen in die hungrigen Mägen und<br />
entfesselten den Widerstand auf der ganzen Linie! Das „Verbrechen", gegen den Hungertod zu<br />
rebellieren, wird zur Macht. Ein Massenschrei der Empörung und Erlösung eilt durch das weite Land.<br />
Das Recht der Verdammten dieser Erde bricht wie ein Vulkan durch Verbrechen und Schande. Die<br />
Gestalt Lenins wächst wie ein feuriger Schatten am Horizont auf. Arbeiter- und Soldatenräte<br />
organisieren die Aufständigen zum Sturm gegen die kapitalistischen Blutsauger. Das Rot der<br />
russischen Revolution ergießt sich über die leichenbesäte Erde.<br />
„Helft uns, die Tyrannei dieser Welt zu brechen! Besinnt euch auf eure Pflicht! Steht auf, kämpft mit<br />
uns 1" klingt es aus den Manifesten des russischen Proletariats.<br />
In den deutschen Parlamenten wird gefeilscht um ein „Wahlrecht". Man redet auch viel vom<br />
„Achtstundentag". Ohne alle Schmerzen und Anstrengungen sollen die Arbeiter in Deutschland zu<br />
ihren „Rechten" kommen. Die Schreckensherrschaft der Regierung entpuppt sich immer mehr als<br />
Herrschaft der Erschrockenen. Die „Räuberbande" in Russland, die „Hochverräter" sind an der Macht.<br />
Man muss das Recht der Proletarier, sich dem Wahnsinn entgegen zu stemmen, als Wahnsinn und<br />
Verbrechen brandmarken, muss die russische Revolution infamieren, muss den Arbeitern in Deutschland<br />
„entgegenkommen" durch leere Botschaften und billige Reformen, um die Entlastung an der<br />
Ostfront ummünzen zu können in einen Raubfrieden mit den „Verbrechern", zu einem militärischen<br />
Plus an anderen Fronten.<br />
Denn die Lage wird trotz alledem bedrohlich. „Von militärischen Siegen ist ein Ende des Krieges<br />
nicht zu erwarten", verkündet Staatssekretär von Kühlmann. Der vierte Kriegswinter naht, und die<br />
Regierung muss die „Brotration" von neuem kürzen.<br />
Flugblätter und die „Spartakusbriefe" werden in die Betriebe geschmuggelt; immer wird von neuem<br />
verkündet: „Wir sind noch da, immer noch!"<br />
Wir sind in unserer Abteilung drei Genossen: Langenscheid, Krüger, der Fräser mit dem Glasauge,<br />
und ich. Ich bin oft bis spät in die Nacht unterwegs, teils mit Sophie, oft auch allein. Aber Sophie<br />
wartet immer auf mich. Manchmal scheint es mir, als wolle sie mir etwas verbergen, auch heute.<br />
„Ist dir nicht gut, Sophie ?"<br />
„Warum ?"<br />
„Du siehst so gedrückt aus, so niedergeschlagen!"<br />
„Lütting!?"<br />
Ich sehe an ihr hoch. Was soll nun wieder sein? „Weißt du es genau ?"<br />
„Ja, ich weiß es genau. Es ist ja schon vierzehn Tage über die Zeit."<br />
Ich nehme ihre kalten Hände in die meinen und sage lachend: „Ist doch nicht schlimm, Sophl! Ich<br />
werde schön was ranschaffen, dass du es diesmal besser hast. Nächsten Sonntag gehe ich mit<br />
,hamstern'!"<br />
Sie seufzt und sagt: „Ich habe solche Angst ausgestanden, dass ich dir zur Last falle. Ich bin nun so<br />
froh!"<br />
„Ich auch!" lüge ich tapfer. Sie kann das gar nicht glauben, tritt einen Schritt zurück und mustert mich.<br />
„Du siehst aber gar nicht froh aus", sagt sie zweifelnd.<br />
„Ich habe heute angestrengt arbeiten müssen und bin nun vier Stunden unterwegs. Wir haben die<br />
Stadtbahnzüge mit Klebezetteln bepflastert. Ich bin nur müde. Aber das ist doch morgen vorbei." Sie<br />
bringt mir zur „Belohnung" noch einen kleinen Teller Reis. Dann deckt sie mich zu.<br />
„Schlaf schön, Lütting."<br />
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