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Adam Scharrer – Vaterlandslose Gesellen (1930) - linke-buecher.net

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mit."<br />

Wir gehen hinten durch den Garten. Es ist kalt, trockener Schnee wirbelt durch die Nacht. Wir müssen<br />

die Kragen an den Mänteln hochschlagen.<br />

Sophie kommt sofort herunter. Sie wartet schon auf den bekannten Pfiff. Es ist angenehm warm in der<br />

Stube. Sophie hat Kaffee gekocht.<br />

„Hast Schwein gehabt, Hans, dass wir hier zusammengestellt werden."<br />

Als Sophie — die schon mit der Kanne wartet — Lohmann von neuem eingießt, denkt er wohl erst<br />

daran, dass er bei „fremden Leuten" ist und wischt sich den Bart ab.<br />

„Haben Sie Kinder ?" fragt Sophie und setzt sich neben ihn auf die Chaiselongue.<br />

„Fünf, alle noch schulpflichtig."<br />

„Wie lange sind Sie schon weg ?"<br />

„Von Anfang an, immer in Frankreich. Hoffentlich kommen wir da nicht wieder hin."<br />

„Wie lange könnt ihr bleiben ?" fragt Sophie. Sie weiß nicht, dass wir ohne Urlaub sind. Lohmann<br />

sieht unentschlossen nach der Uhr. Es ist Mitternacht.<br />

„Ich muss gehen", meint er dann.<br />

„Bleiben Sie doch hier", bittet Sophie. „Gehen Sie morgen früh mit Hans."<br />

Lohmann bleibt schwer sitzen, sagt nichts. Er lässt sich von Sophie die Stiefel ausziehen und zieht ein<br />

Paar Pantoffel an. Als sie seinen Mantel vom Bett fortnimmt, bittet er sie, ihn herüberzureichen,<br />

nimmt ein Stück fetten Speck heraus und sagt:<br />

„Nehmen Sie dat, Frau Betzoldt!" Er lässt keine Widerrede zu. Man merkt ihm an, es ist ihm ein<br />

Bedürfnis, zu danken.<br />

Sophie deckt ihn zu. Er liegt mit dem Gesicht gegen die Wand. Man sieht fast nichts von seinem<br />

Gesicht als das zerfetzte Ohr.<br />

Wir schlafen wenig. Um fünf Uhr müssen wir zum Stalldienst sein. Um vier Uhr steht Sophie auf und<br />

macht Frühstück. Sie ist ohne Arbeit, kann dann noch schlafen.<br />

„Kommst heute abend gegen sieben einmal hin", verabreden wir uns — „ich komme hinten über den<br />

Garten." Lohmann sagt: „Schönen Dank, Frau Betzoldt" und dann zu mir: „Bleib ruhig noch hier,<br />

Hans, um sieben ist noch Zeit, ich werde schon fertig." Ich mag ihn aber nicht allein gehen lassen.<br />

Einen Tag bleiben wir ja sicher noch; die Batterie ist noch nicht vollzählig, nicht an Menschen und<br />

Material.<br />

Wir machen stumm unseren Stalldienst. Lohmann sagt zu mir „Hans" und ich zu ihm „Gustav".<br />

Der Appell am Abend dauert länger als sonst. Alles ist einander fremd. Die Offiziere und<br />

Unteroffiziere und die ihnen unterstellte Mannschaft. Zwei Mann fehlen, fehlen immer noch, als schon<br />

einige Male abgezählt ist. Ein junger Leutnant fragt einen Wachtmeister verwundert: „Wo sind denn<br />

die Leute, wenn sie da waren?" Der Wachtmeister macht ein vorschriftsmäßiges Untergebenengesicht,<br />

und als der Leutnant hartnäckig auf Antwort wartet, sagt er: „Entschuldigen Herr Leutnant, einsperren<br />

kann ich die Leute nicht!"<br />

„Mal herhören!" vernehmen wir dann. „Die Batterie kann jede Stunde abmarschieren. Es ist streng<br />

verboten, die Quartiere zu verlassen."<br />

„Ich muss meiner Frau Bescheid sagen", teile ich Gustav mit.<br />

„Bring se mit rin", sagt er, „draußen könnt ihr nicht stehen."<br />

„Tag, Frau Betzoldt. So gemütlich wie bei Ihnen ist es ja nicht, aber besser als draußen." Gustav<br />

schiebt ihr eine Kiste hin und setzt sich selbst auf einen Sack. Auf einem „requirierten" Gartenstuhl<br />

nehme ich Platz.<br />

Dann zieht Sophie unter ihrem Cape ihre Markttasche hervor. Sie hat außer einigen Schnitten ein<br />

wenig Kakao mitgebracht. Sie wollte den Speck nicht allzu billig haben. Die traurige Ölfunzel brennt<br />

verschwiegen schummrig. Die andern sitzen vorn im Lokal oder in ihren Quartieren.<br />

Die Wärme der Pferde macht den Aufenthalt im Stall eben erträglich.<br />

„Waren die beiden aus Rostock?" frage ich. Mich interessieren die Ausreißer.<br />

„Ja", sagt Gustav, „sind junge Kerls, kann's keinem verdenken." Er sagt das seufzend, wie bedauernd,<br />

dass er nicht mehr „jung" ist.<br />

„Ein paar", sage ich, „besagen nichts. Alle müssten sie zur Vernunft kommen."<br />

Gustav lächelt schmerzlich. „Vernunft!" wiederholt er dann.<br />

Ein Leben lang hat er geschuftet, hat sich so recht und schlecht durchgeschlagen mit seinen paar<br />

Morgen Land, seinen Kindern. Nun ist er fort von seinem Haus aus Mecklenburg. Die Frau kann es<br />

nicht schaffen. Fremde Hilfe ist teuer — und ersetzt die Sorgfalt, den Fleiß, den Vater nicht. Das Land<br />

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