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Adam Scharrer – Vaterlandslose Gesellen (1930) - linke-buecher.net

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Tetsche, der junge Maler, schoss nicht auf die gestandrechteten Belgier und sitzt als „Ehrloser", als<br />

Soldat zweiter Klasse auf Festung.<br />

Kriegsgewinnler demonstrieren durch eiserne Uhrketten ihre vaterländische Gesinnung. Die<br />

Wissenschaft „beweist", wie vorzüglich wertlose Surrogate für hungernde Arbeiterkinder sind, deren<br />

Väter die Kugel erwarten und deren Mütter Granaten drehen fürs Vaterland. Über der geschändeten<br />

Erde verdampft das warme Blut der Vaterlandsverteidiger aller Länder und wird eingefangen in<br />

klingender Münze von den Patrioten aller Länder, die sich in warmen Betten an ihre Weiber drücken.<br />

Die Hunde der oberen Zehntausend verzichten nicht auf ihre Milch und ihre Semmeln. Kriegs dichter<br />

streuen ihr Gift in die korrumpierte Presse, um die Millionen zu betäuben, deren Hunger mit den<br />

Aktien der Kriegslieferanten steigt. Arbeiterführer essen als kaiserliche Gäste im Hauptquartier, und<br />

Rosa Luxemburg und Genossen sitzen hinter den Gittern um der Wahrheit willen. Liebknecht wird als<br />

„irrsinnig" und als „ehrlos" erklärt, und Spitzel aller Grade lassen sich durch Orden und Ehrenzeichen<br />

ihre Ehre bescheinigen.<br />

Des Vaterlandes Dank ist euch gewiss! Denk es, o Deutschland, dass dein ärmster Sohn auch dein<br />

treuester war.<br />

Walter von den Gardegrenadieren stieß einen Unteroffizier zurück, der einen gefangenen Engländer<br />

vor das Schienbein stieß, weil dieser glaubte, mit Menschen sprechen zu können. Er wurde von Walter<br />

eingebracht und freute sich, dass alles Lüge war von den „Boches". Die Achselklappen hat er im<br />

Dunkeln nicht gesehen. Er bat den Leutnant um eine Zigarette. Er büßte, indem er brutal misshandelt<br />

wurde, und Walter büßt seine Achtungsverletzung am Stolleneingang. Dreimal zwei Stunden wird er<br />

mit Stricken festgebunden.<br />

Ich erwarte Sophie vor der Fabrik. Sie kommt freudig auf mich zu. Arbeiter und Arbeiterinnen reichen<br />

mir die Hand. „Betzoldt! Hans! Macht ihr nicht bald Schluss?" Langsam schlendern wir die Straße<br />

entlang. Einer nach dem andern verabschiedet sich. Zwei Kollegen drücken mir einen Geldschein in<br />

die Hand, und ich nehme an ohne Scham und ohne besonderen Dank. Ich weiß, sie wollen keinen<br />

Dank.<br />

Sophie verlässt mich einige Mal vor den Läden, um einzukaufen. Zuletzt kauft sie noch Äpfel, teure,<br />

schöne Äpfel, zum Nachtisch.<br />

Einen Augenblick setzt sie sich, als wir in der Stube sind. Sie ist müde. Ich nehme ihre Hände, sehe ihr<br />

in die Augen. So hart sind diese Hände geworden, wie steifes Papier, die Haut voller Risse. Ihre<br />

Augen so glanzlos, ihr Mund so unerbittlich geschlossen. Ihre Brust eingefallen, welk. Ihr Hals<br />

dünner, die Adern treten hervor. Ich will ihr einen Kuss geben und kann nicht, will verbergen, was in<br />

mir vorgeht, falle mit dem Gesicht in ihren Schoß.<br />

Sie streicht mir über den Kopf und sagt: „Du musst vernünftig sein, Hans. Wir haben doch alle unser<br />

Teil zu tragen. Ich kann doch nichts dafür, was du durchmachen musstest."<br />

„Verzeih, Sophie!"<br />

Ich muss ihr das sagen. Ich habe sie in der vergangenen Nacht abgewiesen und blieb stumm, als sie<br />

mein Bett verließ, sich in ihre Decke vergrub und weinte. Sie nimmt meinen Kopf in beide Hände und<br />

schaut mir in die Augen. Wir sind so froh, so glücklich.<br />

Ich zeige Klaus den Brief von Walter, berichte von draußen, von allem, was ich sah und hörte. Mir<br />

scheint, Klaus ist ein ganz anderer geworden. Und er sagt es auch selbst.<br />

„Solange Alfred hier war", bekennt er, „war es bequem, nach ,Taten' zu schreien. An ihm ist alles<br />

abgeprallt, er hat alle schreien lassen und ihnen ihre Arbeit zugeteilt. Aber nun, Hans, kann ich keinen<br />

mehr anschreien. Entweder bleibt alles liegen, oder ich muss versuchen, mit List und ruhigen Nerven<br />

zu arbeiten, so gut es geht. Das Schreien nützt nicht immer, es kann uns sogar viel schaden. In<br />

Schutzhaft sitzen schon genug. Wir müssen die Massen aufklären, hier und draußen. Oder wir<br />

sprengen uns selbst in die Luft.<br />

Du kannst auf Sophie stolz sein", fährt er dann fort. „Sie hat sich gut eingearbeitet. Auch Martha ist<br />

ein Prachtkerl. Anna war schon zweimal verhaftet, weil man sie denunzierte, dass sie polizeilich<br />

gesuchte Personen beherberge. Einmal saß sie zwei Wochen. Bedenke, was sie schon durchgemacht<br />

hat! Hier trägt jeder sein Bündel. Wir müssen auch Lotte unter die Arme greifen, damit Alfred<br />

beruhigt ist. Auch wir müssen ,durchhalten’. Wer den längsten Atem hat, der hat gewonnen. Also sei<br />

vernünftig!"<br />

Ich stehe vor ihm wie ein Schuljunge und sehe an ihm hoch. Er hat beide Hände auf meine Schultern<br />

gelegt und macht ein väterlich ernstes, gutes Gesicht. Dann berichtet er von den Mühseligkeiten und<br />

Schwierigkeiten der geheimen Agitation, dem Kampf mit den Schnüfflern; aber auch davon, wie nach<br />

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