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Adam Scharrer – Vaterlandslose Gesellen (1930) - linke-buecher.net

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ich wenigstens mein Plätzchen für mich, nun auch das nicht mehr. — Gar nichts mehr!"<br />

In ihren müden Augen lauert etwas Fremdes: „Verstehst eben auch nicht, was ich hinter mir habe.<br />

Immer allein gewesen, meine im Leib verhungerten Kinder allein eingegraben. Nun wieder fort, sich<br />

angaffen lassen von diesen Weibern. Wofür ? — Das Ende?"<br />

Morgens um sieben Uhr hole ich meinen Zivilanzug aus dem Koffer und lasse einen Zettel zurück:<br />

„Komm bald wieder, werde versuchen, etwas zu finden, bis Mittag bin ich zurück."<br />

Dann versuche ich mein Glück im Osten und miete nach dreimaligem vergeblichem Anklopfen ein<br />

Zimmer 'für uns beide. Vielleicht wäre es uns auch schon tags zuvor gelungen, hätte ich nicht in<br />

meinem Ehrenkleid einen so verdammt schlechten Eindruck gemacht.<br />

Wir bringen unsere Habseligkeiten in die neue Wohnung: das nötigste Geschirr, einige Pfund<br />

Kartoffeln, unser Brot und unser Fett. Schenken der Frau eins von diesen Broten — sieben Stück habe<br />

ich noch auf meiner zweiten Reise mitgebracht — und tauschen dafür ein strahlendes Gesicht ein.<br />

Am andern Tag melde ich mich zur Arbeit.<br />

„Können Sie Pittler-Bänke einrichten?" empfängt mich Meister Horn. Ich bejahe und bekomme fünf<br />

Bänke, an denen Frauen arbeiten. Hülsen, Scheiben, Schrauben, Bolzen.<br />

Sie beobachten mich interessiert, wissen, dass der Einrichter die Preise angeben muss. Wenn die ersten<br />

Stücke durch die scharf geschliffenen Stähle laufen, die eben eingerichtete Maschine reibungslos<br />

funktioniert, stimmt das mit den Minuten für das Hundert einigermaßen. Ein „tüchtiger" Einrichter ist<br />

immer an den Preisen, die er macht, zu erkennen. Ob die Maschine so durchhält — was geht ihn das<br />

an! Er muss sich „bewähren", der Meister hat die Wahl; ein Wink an das Reklamationsbüro, und er ist<br />

wieder unter den tapferen Feldgrauen.<br />

Der „Brotstreik" hat außerdem erst kürzlich die Spreu vom Weizen gesondert. Meine beiden Kollegen<br />

sind der alte Janke und Nachtigall. Nachtigall, zweiundzwanzig Jahre alt, kam erst vor kurzem von der<br />

Westfront. Janke ist unübertrefflich; ein alter Junggeselle, verbissen, säuft viel, hat eine Nase wie eine<br />

Glühbirne und einen Glatzkopf wie ein Kürbis. Wenn er sagt „Zweiunddreißig Pfennig pro Hundertl",<br />

dann gibt es zweiunddreißig Pfennig. Die Arbeiterin, die sich weigert, den Preis anzuerkennen, kann<br />

sich ja bei dem Meister und Herrn Zickel, dem Oberkalkulator, beschweren.<br />

Janke hat sich in jeder Beziehung bewährt. Er hat mit keiner Wimper gezuckt, als die „Verdächtigen"<br />

nach dem Hungerstreik, einer nach dem andern, hinauskommandiert wurden. Er sieht nicht ein, warum<br />

er sich dieser Gefahr aussetzen soll — wegen der „dämlichen Weiber".<br />

Nachtigall ist nicht so ganz firm; hat zu viel Stunden für Einrichten und soll ausscheiden, soll an eine<br />

Spitzenbank. Ich soll sein Nachfolger werden.<br />

Die Maschinen brummen, surren. Gehetzte Augen liegen über den schälenden Stählen, gehetzt von der<br />

Uhr, die unerbittlich weiterläuft, auch wenn die Stähle stumpf werden, weil das Ersatzöl nicht<br />

schmiert. Die Maße passen schon nicht mehr, wenn der Einrichter eben erst die Maschine abgegeben<br />

hat. In der Kontrolle wird genau gemessen. Seufzend hält die Arbeiterin die Maschine an. „Herr<br />

Janke!"<br />

Herr Janke kommt, wenn es ihm passt, brummt dann, schleift den Stahl und sagt: „Bei euch muss man<br />

immer dabeistehen, sowie man den Arsch dreht, geht's nicht." Die Arbeiterin bleibt stumm. „Der Kerl<br />

wird gleich so ausfallend, wenn man einmal etwas sagt!" entschuldigt sie sich vor mir.<br />

Es klingelt zum Frühstück. Ich setze mich auf einen der Schemel, will aufstehen, als die kleine Erna<br />

ihn vermisst. Aber sie bittet mich, sitzenzubleiben. Scheint froh zu sein, mir einen Gefallen tun zu<br />

können.<br />

Ich packe meine Kommissbrotschnitten aus und beiße ab. Die Einrichter sitzen an ihrem<br />

Werkzeugschrank. Dass ich bei den Arbeiterinnen sitzen bleibe, weckt Hoffnungen in ihnen.<br />

„Kommen wohl auch aus dem Schützengraben?" fragt Zinke, die ältere „Kriegerwitwe". Sie hat zwei<br />

Kinder, ihr Mann ist schon vor zwei Jahren fürs Vaterland gefallen.<br />

„Ja, von Russland."<br />

„Die einen gehen, die andern kommen. — Sie können sich ja die Leute aussuchen", sagt die schwarze<br />

Ellenbogen.<br />

Sie suchen mir irgendwie „näher zu kommen", glauben aber, auch bei mir sich in acht nehmen zu<br />

müssen.<br />

Nur Gertrud Bartsch ist etwas dreister. „Der Schweinehund von Janke versteht die Karre zu schieben",<br />

meint sie und angelt ein Scheibchen Radieschen aus einer Tasche.<br />

„Ja, der versteht's, der Schmarotzer!" ergänzt Ellenbogen bestätigend. „Solche können sie gebrauchen,<br />

die die Frauen piesacken bis aufs Blut."<br />

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