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Adam Scharrer – Vaterlandslose Gesellen (1930) - linke-buecher.net

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Batterien müssen aufgefahren sein. Die Bagage hat Befehl, sich marschbereit zu halten. Eine<br />

ungeheure Nervosität macht sich bemerkbar.<br />

In der dritten Nacht, gegen Morgen, setzt stundenlanges verstärktes Artilleriefeuer ein. Die Batterie<br />

bekommt Befehl, dass die Stellung durch Sperrfeuer vor dem Graben um jeden Preis zu halten ist und<br />

nach Durchbruch der Russen durch Abriegelung des Knüppeldamms, der von der Batterie nach dem<br />

Graben führt, gesichert wird. Rechts und links davon ist Sumpf. Das Eis ist verschwunden, hier kann<br />

niemand durch, die russische Artillerie belegt bereits den Knüppeldamm hinter unserer Stellung, die<br />

einzige Rückzugsstraße. Einige Treffer, und der Rückzug für die Kanonen und Protzen ist unmöglich.<br />

Die erste Welle der russischen Infanterie bleibt im Gewehr und Granatfeuer hängen, gräbt sich aber<br />

fünfzig Meter vor dem deutschen Graben ein. Alte Granattrichter erleichtern ihr das.<br />

Die Batterie schießt nach zwei Zielen, mit einem Zug nach der russischen Artilleriestellung, von wo<br />

her die Stellung der Batterie dauernd unter Feuer liegt, mit dem andern Sperrfeuer, um eine<br />

Verstärkung der vorgeschobenen russischen Infanterie zu verhindern.<br />

Da zerspringt am ersten Geschütz die Vorholfeder. Das dritte Geschütz erhält eine Stunde später einen<br />

Treffer und fällt ebenfalls aus. Drei Kanoniere sind verwundet, der Aufsatz zertrümmert, ein Rad<br />

demoliert. Die Batterie hat keine Richtkanoniere — und keinen Batterieschlosser. Kein Mensch weiß<br />

so mit den Ersatzteilen Bescheid, dass es binnen kurzem wieder klappt. Die Russen stehen schon in<br />

unserem Graben. Die Beobachtung gibt keine Befehle mehr. Alle noch verfügbaren Mannschaften der<br />

Munitionskolonne und Fahrer sitzen rechts und links von der Batterie im Sumpf als „zweite Stellung".<br />

„Wo ist der Batterieschlosser ?"<br />

„Im Lazarett, Herr Hauptmann!"<br />

„Wo ist der Ersatzmann?"<br />

„Im Arrest, Herr Hauptmann!"<br />

„Himmeldonnerwetter! — Sind Sie verrückt? — Sofort herholen!"<br />

Mitten in der Nacht klopft es an die Tür. Ein Pferd steht da, ein zweites für den Begleiter. Wir reiten<br />

durch den stockfinsteren Wald, zwei Stunden. Die Pferde stutzen nach jedem Einschlag, stolpern über<br />

Wurzeln und Löcher, fallen immer wieder in Schritt.<br />

Die Batterie feuert nur mit zwei Geschützen und nach zwei Richtungen. Das erste Geschütz ist bald<br />

feuerbereit. Dann wird das dritte unterbaut und provisorisch auf die Verbindungsstraße nach der<br />

Beobachtung eingerichtet. Jansen übernimmt es.<br />

Die Batterie hat ihre Feuerprobe zu bestehen. Die Mannschaften sind größtenteils unbrauchbar. Erst<br />

als die schwere Batterie hinter uns in Stellung gebracht ist und eingreift, taucht einer nach dem andern<br />

von denen wieder auf, die nicht vorn in der Linie lagen. Sie waren im Wald geblieben, nach rückwärts,<br />

um den Anschluss nicht zu verpassen. Müller und Brandt lagen zu dicht an der Latrine. Ein Volltreffer<br />

schüttete fast den ganzen Inhalt über sie. Aber sie blieben tapfer liegen, bis sich die Russen<br />

zurückziehen und Feuerpause befohlen wird.<br />

Die Rohre sind noch heiß, ein Berg von Kartuschen liegt um die Kanonen. Zu den drei Verwundeten<br />

bringen sie noch zwei, mit Gewehrschüssen. Kanonier Licht stirbt. Sein Kopf ist mit feinen Splittern<br />

durchsiebt.<br />

Niemand kennt Kanonier Licht. Er ist Pole, das weiß jeder, weiter nichts. Es fragt auch keiner danach.<br />

Roggenbrot gibt mir die Hand und sagt: „Sie haben Nerven, Betzoldt!"<br />

„Wie meinen ?"----------<br />

„Sie haben Nerven, alle Achtung — und dass Jansen noch zur rechten Zeit kam, das war Glück."<br />

Jansen, der früher immer lachte, lacht aber nicht mehr. Ich kenne ihn gar nicht wieder und frage ihn.<br />

„Meine Frau ist sehr krank", berichtet er. „Wer weiß, ob ich sie noch einmal wieder sehe." Dann zeigt<br />

er mir ein Telegramm von dem leitenden Arzt des Krankenhauses: „Lebensgefährliche Operation!''<br />

„Ob ich's einmal versuche ?"<br />

„Natürlich!"<br />

Abends geht Jansen in Ordonnanzanzug zum Hauptmann und bittet um Urlaub. Er ist von Anfang an<br />

im Felde.<br />

Der Hauptmann verspricht, bei der Abteilung das Gesuch zu befürworten. Anderntags erhält Jansen<br />

Bescheid, dass der Urlaub nicht bewilligt ist.<br />

Aus dem Lazarett war die Meldung eingelaufen, dass Jansen verdächtig sei, Flugblätter verteilt zu<br />

haben. Wachtmeister Roggenbrot verriet uns den Grund der Urlaubsverweigerung mit der Bitte, es für<br />

uns zu behalten. Kanonier Jansen setzt sich auf den Richtsitz und weint.<br />

Einige Tage später packen vier Mann und fahren auf vier Wochen in Urlaub. Es ist schon das zweite<br />

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