Adam Scharrer – Vaterlandslose Gesellen (1930) - linke-buecher.net
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„Zur Geschäftsordnung!"<br />
Klaus macht den Vorschlag, einem Genossen, der mit polnischen Genossen Fühlung hatte, das Wort<br />
zu einem kurzen Bericht zu geben.<br />
Ich erzähle von der Zusammenkunft in Warschau, berichte über die polnischen Genossen, was sie<br />
sagten über die deutschen Arbeiter; von der weinenden Genossin und ihrem Schicksal; dann von der<br />
französischen Arbeiterin; ich füge hinzu: „Ich bin der Meinung, Genossen, dass jeder, der einen Stein<br />
auf Liebknecht wirft, nicht weiß, was er tut."<br />
Dann ist es wieder still. Der Vorsitzende erhebt sich und will die Versammlung schließen.<br />
Da springt eine Frau auf eine Kiste und ruft: „Die Zuchthäusler Karl Liebknecht, Rosa Luxemburg<br />
und Genossen, sie leben hoch!"<br />
Alle rufen das Hoch in die Nacht hinaus. Kein Wort fällt mehr. Die meisten gehen nach vorn über die<br />
Felder.<br />
XXI<br />
Der Gedanke, wieder hoffnungslos verbannt zu sein, quält mich während meiner ganzen Rückfahrt.<br />
„Na, fein eingefädelt, was — könnte Ihnen wohl so passen ?" empfängt mich der Wachtmeister.<br />
Ich setze mein dümmstes Gesicht auf: „Wie meinen Herr Wachtmeister ?"<br />
„Sie gehen nachmittag in Feuerstellung, können zu Fuß gehen!"<br />
„Jawohl, Herr Wachtmeister!"<br />
Mau empfängt mich freudig und gibt mir die Hand. „Betzoldt, du Hund, verfluchter!"<br />
„Was ist denn ?"<br />
„Holl din Mul — die sin schön upregt."<br />
Roggenbrot kommt: „Sollen zum Herrn Hauptmann kommen!" dann etwas leiser: „Lassen Sie sich<br />
nicht einwickeln, Mensch!"<br />
Der Hauptmann setzt mir auseinander, dass irgendwelche „Rumpelwerke" sich einbilden, seine besten<br />
Mannschaften holen zu können, und dass mich kein Mensch zwingen kann, wenn ich nicht will.<br />
„Kennen Sie die Firma überhaupt ?"<br />
„Nein, Herr Hauptmann. Ich weiß nur, dass einige frühere Arbeitskollegen dort arbeiten."<br />
„Seien Sie nicht so dumm. In sechs Wochen sind Sie vielleicht in Frankreich. Sie sind doch auch<br />
verheiratet ?"<br />
Ich bejahe, und er gibt mir den Rat, mir die Sache bis morgen früh zu überlegen.<br />
Ich gehe anderntags wieder zu ihm und melde, dass ich mir die Sache überlegt habe. — „Ich fahre!"<br />
„Dann scheren Sie sich zum Teufel!"<br />
Die Batterie ist angetreten zum Arbeitsdienst.<br />
„Auf Wiedersehen, Herr Wachtmeister Roggenbrot!"<br />
„Wiedersehen, Betzoldt! — Von Herzen alles Gute!"<br />
„Auf Wiedersehen, Kameraden!"<br />
„Wiedersehen, Betzoldt! — Grüß die Heimat!"<br />
Dann verabschiede ich mich von Gustav. „Ick gönn di dat von Herzen", sagt er, „grüß Sophie!"<br />
Da kommt der Herr Wachtmeister und sagt: „Was suchen Sie denn noch hier? Sie sind doch schon vor<br />
einer Stunde abgefertigt!"<br />
Sophie war ganz verzweifelt, als wir spätabends in einem kleinen Hotel in Berlin todmüde nach einem<br />
Zimmer fragten.<br />
Zwei Tage haben wir Wohnung gesucht, aber: Ein Soldat und ein Frauenzimmer, das kennt man<br />
schon. Nein, nein, wir sind anständige Leute!<br />
Sie sagten uns das nicht, die uns die Tür zumachten, nachdem wir uns unter Hinweis auf das<br />
angepriesene „Möblierte Zimmer mit Küchenbenutzung" vorgestellt hatten. Aber die Art, wie sie<br />
„bedauerten", war deutlich.<br />
„Musst lieb sein, Sophl, wird schon werden!" Sie sinkt apathisch auf das steif aufgebaute Bett: „Ich<br />
weiß nicht, Lütting, ich habe das Gefühl, das hat alles keinen Zweck. Ich halte das nicht mehr aus.<br />
Muss man sich noch anstieren lassen von diesen Weibern, als wäre man sonst was. Was soll noch alles<br />
kommen, ich sehe gar kein Ende, das ist doch alles so schrecklich, so erniedrigend. In Hamburg hatte<br />
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