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Adam Scharrer – Vaterlandslose Gesellen (1930) - linke-buecher.net

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estimmt für die Kugel. Sie auszurotten ist eine vaterländische Pflicht.<br />

Auch Langenscheid ist unter ihnen. Er geht wie immer, schlenkernd, durch die Bude, gibt Werkzeug<br />

ab, holt seine Papiere.<br />

„Wiedersehn, Arthur!"<br />

„Wiedersehn, Hans!"<br />

Kollege Wurm von den Werkzeugmachern kommt dazu. „Auch du?"<br />

„Ja! — Übermorgen in Schöneberg."<br />

„Auf Wiedersehen!" sagt Langenscheid noch einmal, in klanglosem Ton, wie ihm selbst zuwider.<br />

„Im Massengrab!" sagt Wurm und lacht noch dabei, als wolle er einen Witz machen.<br />

Die Betriebe sind gesäubert. Die Preise werden gedrückt. Garnisondienstfähige werden an die Stelle<br />

der Rebellen kommandiert. Sie mehren sich ja, die Kriegskrüppel, wie Spreu beim Dreschen.<br />

Die große Armee ist unterlegen, der Stiefel des Militarismus sitzt ihnen noch brutaler im Genick. Sie<br />

gehen wie Sträflinge hinaus zum Tor und lesen auf großen grellen Plakaten, die zeigen, wie tapfer<br />

„unsere Feldgrauen" auf die Feinde losstechen und schießen:<br />

„Wer heute feiert, statt zu schaffen, Der lässt den Feind herein ins Land. Der schlägt den Brüdern<br />

Wehr und Waffen Als feiger Hundsfott aus der Hand!"<br />

XXVI<br />

Unser Holzvorrat ist aufgezehrt. Der kalte Wind pfeift um die alten morschen, undichten Fenster. Die<br />

kleine Bertha saugt hungrig an den leeren Brüsten der Mutter. Gustav lag drei Monate in Köln, ist nun<br />

zu Hause. Er hat den rechten Fuß verloren.<br />

Ich bin noch nicht unter denen, die hinausbefördert wurden. Jeden Tag luge ich horchend zur Tür<br />

herein, wenn ich heimkehre, suche auf Sophies Gesicht zu lesen. Jeden Tag ist die Galgenfrist<br />

verlängert — bis zum nächsten Tag.<br />

Jeden Tag habe ich vor mir die Arbeit, knifflig und interessant, wäre sie für einen anderen Zweck<br />

bestimmt. So aber wird die Ausführung kompliziertester Mechanik zur lächerlichen Farce. Ich<br />

versuche, das Interesse in mir krampfhaft wach zu halten — bis die ganze mühsame Konstruktion in<br />

meinem Schädel wieder einstürzt. Einen Hammer müsste man nehmen, einen großen Hammer! — und<br />

Bank und Arbeit in Trümmer schlagen. Wozu den langweiligen Umweg erst wählen. Ist doch alles<br />

bestimmt, zu vernichten und vernichtet zu werden.<br />

Ich versuche langsam zu erfassen, dass die Niederlage keine Niederlage war. Genosse Kerr setzt das<br />

ausführlich auseinander. „Das Auf und Ab der zersplitterten Streiks in Deutschland, in Österreich, in<br />

Ungarn", sagt er, „ist das Wetterleuchten des großen revolutionären Gewitters."<br />

Wenn er so steht und spricht, selbst vertrieben von Frau und Kind, und ermahnt, den Kopf, nicht<br />

hängen zu lassen, kommt von irgendwoher ein frischer Luftzug. Er steht da wie ein Abgesandter des<br />

russischen Proletariats, ermahnt, ermuntert, erklärt, als öffne er ein Fenster, aus dem wir<br />

hinausschauen auf das gigantische Ringen im Osten, wo das Proletariat in den Arbeiter- und<br />

Soldatenräten die Tatze des Löwen zeigt. Wir sehen die abgrundtiefe Heuchelei der deutschen<br />

Militaristen, deren „Friede" im Osten zum Ziel hat, die revolutionäre Basis mit einem Ring von<br />

Vasallenstaaten zu blockieren, um die Kraft des kämpfenden Proletariats zu isolieren und zu ersticken.<br />

Dann finden die gehetzten Nerven wieder Halt, findet das Hirn wieder Perspektiven — um vor der<br />

Frage zu landen: „Wie können wir helfen ?" Und wieder sind alle Aussichten verdüstert: Wer sich<br />

rührt, wird stumm gemacht.<br />

„Fleischlose" Wochen werden eingeführt. Im Westen beginnt die große Offensive, die die<br />

Entscheidung bringen soll.<br />

Sophie steht Stunden, Tage, das Kind auf dem Arm, nach einem Hering, nach ein paar<br />

Bouillonwürfeln, kommt dann oft mit leeren Händen zurück, möchte mir so gern eine kleine<br />

Überraschung, eine Freude machen, knickt zusammen, erwartet mich mit leeren Augen, wie gelähmt.<br />

Dann ist an mir wieder die Reihe, ihr zu sagen: „Wenn ich dich nicht hätte, Sophl, und unseren<br />

Schreihals, dann müsst ich verzweifeln."<br />

„Ist das wahr, Lütting ?"<br />

„Ja, so wahr ich vor dir stehe!"<br />

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