Adam Scharrer – Vaterlandslose Gesellen (1930) - linke-buecher.net
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gekommen sein. Einige Enten liegen gelangweilt vor dem Wehr, das sicher nur ihretwegen angelegt ist<br />
an den Lauben; ein anderer Zweck, das winzige Wässerlein dort abzustauen, ist nicht denkbar.<br />
Wenn diese Enten den Kopf aus dem Wasser nehmen, schauen sie gelegentlich auch einmal zu mir<br />
herüber, als wollten sie fragen: was bist du denn für eine komische Figur ?<br />
Ich drehe mich wieder um, gehe durch die Brücke hindurch, und sehe in den Strom der Spaziergänger<br />
hinein. Ein Soldat grüßt, innerhalb zirka hundert Meter, siebenmal. Ich rechne aus, wie viel<br />
Ehrenbezeigungen täglich in Deutschland gemacht werden.<br />
Dann stelle ich Betrachtungen darüber an, was wohl der Feldwebel sagen würde, wenn ich meine<br />
sechs Schuss auf die Enten verwenden würde, oder auf die Hühner, oder auf die Vögel, die oben auf<br />
dem Draht sitzen. Das wäre doch gar keine schlechte Idee! Ich glaube aber selbst nicht daran, das zu<br />
tun. Nicht aus Angst vor den Folgen, ein geistig gesunder Mensch ist unfähig, einen Widersinn durch<br />
einen noch ausgewachseneren Widersinn zu übertrumpfen.<br />
An Sophie habe ich geschrieben, dass ich nächsten Sonntag bestimmt kommen werde. Bestimmt!<br />
Wenn nicht mit, dann eben ohne Urlaubsschein . . . und dass sie, falls wieder etwas „dazwischen"<br />
kommt, mir Zivilkleidung bringen soll.<br />
Was dann ?<br />
— Gleichgültig, was dann! — Einmal will ich noch bei<br />
Sophie sein, ohne Angst vor den Aufpassern mit ihr reden, vielleicht auch Abschied nehmen.<br />
Diese Gedanken an Sophie erhalten mich aufrecht, geben mir die Kraft, die blanken Knöpfe an den<br />
blauen Lumpen zu putzen, den Affentanz auf dem Kasernenhof scheinbar ernst zu nehmen. Es wäre<br />
sonst unerträglich.<br />
Auch unerträglich trotz des Materials von Klaus über die „Ursachen des Weltkrieges". Ich bin<br />
enttäuscht und erschüttert zugleich. Was nützt es, wenn der eine und der andere die Wahrheit über<br />
diesen Krieg erfährt und zum Schweigen gezwungen wird ? Was nützt es ? In spätestens vier Wochen<br />
sind wir draußen, neue kommen — und gehen wieder, und wieder kommen neue. Wo bleibt die Tat!<br />
Irgend etwas, ein Signal, ein erlösender Schrei!<br />
Ich weiß, was du meinst, Klaus. Oh, man hat noch soviel Zeit zum Denken! Die Zahlen werden in<br />
meinem Hirn zum Bild. Die Welt zum Kampfobjekt von Räubern, die Menschen zu Knechten dieser<br />
Räuber.<br />
Ich sehe, wie die Kapitalmassen der Großkapitalisten und Bankkonzerne in fremde Länder wandern.<br />
Ich sehe aus diesem Geld Eisenbahnen, Straßen, Bewässerungsanlagen, Goldminen, Bergwerke<br />
wachsen. Ich sehe, wie die Intelligenz dieser Länder durch dieses Geld korrumpiert wird, wie Armeen<br />
entstehen, um den ergaunerten Reichtum zu schützen und um die Proletarier niederzuhalten und<br />
auszubeuten. Ich sehe, dass der Kapitalismus diese verbrecherische Politik auf die Spitze treiben<br />
musste, weil die Gier nach Profit ihn über den ganzen Erdball jagt, und jetzt der Kampf der Räuber<br />
untereinander entbrannt ist. Ich sehe, dass Sarajewo nur Anlass, nicht Ursache war. Ich sehe, dass die<br />
„heiligsten Güter der Nation" überall die gleichen sind. Ich sehe, wie die Menschen verblendet sind;<br />
Menschen, die nichts dafür können, dass sie als Deutsche, als Engländer, als Franzosen, als Russen<br />
geboren sind, stürzen sich aufeinander, Väter auf andere Väter, Söhne auf andere Söhne, Mütter beten<br />
für ihre Söhne um den Segen Gottes und um den Fluch Gottes für die anderen. Ich sehe, dass nur das<br />
internationale Proletariat diese Hydra vernichten kann, dass allein auf der internationalen Solidarität<br />
der Proletarier die Menschheit sich emporheben kann aus der Schande des verbrecherischen Blutrausches.<br />
Ich sehe die Opfer dieses Hexensabbats vor mir: 36531 Tote, 159165 Verwundete, 55522<br />
„Vermisste" in eineinhalb Monaten. Fünfundzwanzig bis dreißig Millionen Menschen warten darauf,<br />
übereinander herzufallen. Ich sehe das, Klaus. Aber ich sehe, wie die Menschen die Wahrheit meiden<br />
wie die Pest.<br />
„Was fragst du noch, wir sind Soldat!"<br />
„Lass das niemand hören, sonst geht es dir dreckig", sagt ein Arbeiter zu mir, der mir ein Bild von<br />
seinen Kindern zeigte.<br />
„Wache raus!"<br />
„Was machst du für ein Gesicht, Betzoldt", sagt Wetzlaff. „Denkst wohl an deine Magda, musst schon<br />
noch acht Tage warten."<br />
„Wird ja bald vorbei sein, die ganze Schose", meint Blumer. „Wenn sie erst Antwerpen haben, ist der<br />
Husten bald aus, die Engländer sind mit unseren Zeppelinen bald ausgeräuchert. Wir werden wohl<br />
gerade noch zurechtkommen, um den Einzug in Paris mitzumachen!"<br />
Sophie wohnt nicht mehr bei Annas Schwester — auch daran bin ich nicht unschuldig. Ihr „Kutt!" ist<br />
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