Deutscher Bundestag Zweiter Zwischenbericht - CDU Deutschlands
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<strong>Deutscher</strong> <strong>Bundestag</strong> – 14. Wahlperiode – 39 – Drucksache 14/7546<br />
Für die Auffassung, dass das Lebensrecht konkreter Menschen,<br />
deren Rettung aus Lebensgefahr oder schwerer Gesundheitsgefährdung<br />
in naher Zukunft möglich ist, dem Lebensschutzgebot<br />
für Embryonen entgegengehalten werden<br />
könne, bietet der gegenwärtige Stand der Forschung keine<br />
ausreichenden Legitimationsgründe. Denn vieles im Bereich<br />
der Stammzellforschung ist heute noch auf die Gewinnung<br />
von grundlegenden Erkenntnissen gerichtet, deren<br />
Nutzbarkeit für therapeutische Zwecke sich erst herausstellen<br />
muss. 216<br />
Nach anderer Ansicht sind Eingriffe in das Lebensrecht<br />
auch zulässig, wenn andere hochrangige Rechtsgüter auf<br />
dem Spiel stehen. 217 Dies entspricht im Ergebnis der gradualistischen<br />
Variante der oben erwähnten Position II. 218<br />
Danach bedarf es bei der Güterabwägung nicht konkret zu<br />
benennender Krankheiten, bei denen in naher Zukunft eine<br />
Chance auf Verbesserung der Heilungschancen zu erwarten<br />
wäre. Vielmehr gehöre auch die Grundlagenforschung zu<br />
der von der medizinischen Wissenschaft zugunsten von<br />
Kranken angestrebten Kompetenzerweiterung. Nach dieser<br />
Auffassung ist das Interesse nicht nur der heutigen, sondern<br />
auch der unbekannten zukünftigen Patientinnen und Patienten<br />
bedeutsam genug, um bei der Abwägung mit dem Lebensrecht<br />
des Embryos in vitro ein überwiegendes Gewicht<br />
zu erhalten. Allerdings gehen auch die Vertreterinnen und<br />
Vertreter dieser Ansicht überwiegend davon aus, dass diese<br />
Voraussetzungen derzeit nur bei Verwendung sog. „überzähliger“<br />
Embryonen gegeben sind.<br />
Bei Zugrundelegung aller Positionen, die eine Güterabwägung<br />
für zulässig erachten, ist der verfassungsrechtliche<br />
Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten. Angesichts<br />
der Hochrangigkeit des menschlichen Lebens innerhalb<br />
der grundgesetzlichen Ordnung ist unabdingbare Voraussetzung<br />
der Einschränkung des Lebensrechtes zur<br />
Gewinnung von Stammzellen aus Embryonen die konkrete<br />
Darlegung, dass die Verwendung von sog. „überzähligen“<br />
Embryonen geeignet und notwendig ist, um die genannten<br />
hochrangigen Forschungsziele zu erreichen, insbesondere<br />
im Hinblick auf bestehende Alternativen wie die Verwendung<br />
tierischen Materials und die Erforschung adulter<br />
Stammzellen.<br />
2.2 Recht auf Therapie aus verfassungsrechtlicher<br />
Sicht<br />
Im Spannungsverhältnis zum Grundrechtsschutz der Menschenwürde<br />
und des Lebensschutzes nach Artikel 1 Abs. 1<br />
und Artikel 2 Abs. 2 steht nicht nur die Freiheit der Wissenschaft<br />
und Forschung nach Artikel 5 Abs. 3 GG. Hinsichtlich<br />
der Forschung an embryonalen Stammzellen beruft<br />
sich die einschlägige Forschung nicht (nur) auf ein<br />
abstraktes Interesse an der Gewinnung neuer Erkenntnisse,<br />
216 Vgl. 1.1.2.1 Therapeutische Anwendung; 1.1.3. Erwartete zukünftige<br />
Entwicklungen und Anlage I.<br />
217 Sacksofsky 2001, S. 24, die allerdings einen Verstoß gegen die Menschenwürde<br />
annimmt und damit letztlich zum Ergebnis der Unzulässigkeit<br />
der Embryonen- bzw. Stammzellforschung, auch an sog.<br />
„überzähligen“ Embryonen, kommt.<br />
218 Vgl. Kapitel 2.1.4.2 Position II: Dem menschlichen Embryo kommt<br />
in abgestufter Weise Schutzwürdigkeit zu.<br />
sondern auch auf das Interesse von bisher unheilbar Kranken<br />
an der Entwicklung neuer Therapien. Das Versprechen<br />
von Heilung und Linderung durch die mittels Forschung an<br />
embryonalen Stammzellen erhofften neuen Therapiemöglichkeiten<br />
spielt im öffentlichen Diskussionsprozess um die<br />
Zulassung der verbrauchenden Embryonenforschung eine<br />
größere Rolle als die Berufung auf die Freiheit der Wissenschaft<br />
und Forschung. Jenseits der unbezweifelbaren politischen<br />
und gesellschaftlichen Bedeutung dieser Argumente<br />
ist zu klären, inwieweit grundrechtlich ein Anspruch<br />
auf die Entwicklung bestimmter Therapien, also ein subjektiv-rechtlicher<br />
Anspruch auf eine spezifische Leistung<br />
des Gesundheitssystems und daraus folgend eine staatliche<br />
Verpflichtung zur Entwicklung bzw. zur Bereitstellung der<br />
entsprechenden Rahmenbedingungen zur Entwicklung einer<br />
solchen Therapie anzunehmen ist. 219<br />
Unbestritten in seiner prinzipiellen Bedeutung für die zu<br />
erörternden Fragen ist das in Artikel 20 Abs. 1 und Artikel<br />
28 Abs. 1 GG verankerte Sozialstaatsprinzip. Das<br />
Bundesverfassungsgericht entnimmt dieser Staatsstrukturnorm<br />
in ständiger Rechtsprechung die objektiv-rechtliche<br />
Pflicht, die medizinische Versorgung der Bevölkerung<br />
sicherzustellen. Dieser Pflicht kommt der Staat<br />
durch die Bereitstellung staatlicher bzw. öffentlicher<br />
Krankenhäuser und rechtlicher Rahmenregelungen, wie<br />
der Sozialversicherungsgesetzgebung nach. Allerdings ist<br />
es die geradezu zwangsläufige Konsequenz seiner offenen<br />
und pragmatischen Normenstruktur, dass dem Sozialstaatsprinzip<br />
keine konkreten Vorgaben für Entscheidungen<br />
über die Bereitstellung finanzieller Mittel für das<br />
Gesundheitswesen auf der Makro-Allokationsebene entnommen<br />
werden können. 220 Solange der Staat für ein öffentliches<br />
Gesundheitssystem sorgt, das nicht offenkundig<br />
mangelhaft ist, bewegt er sich innerhalb des<br />
normativen Rahmens, den das grundgesetzliche Sozialstaatsprinzip<br />
vorgibt. Hinsichtlich der Höhe der bereitzustellenden<br />
Mittel und der Einschätzung des Niveaus bzw.<br />
Standards eines Gesundheitssystems kommt dem Staat<br />
eine weitreichende Einschätzungsprärogative zu. 221<br />
Das Sozialstaatsprinzip als solches entfaltet seine – wie gezeigt:<br />
höchst eingeschränkte – normative Direktionskraft allerdings<br />
nur als objektiv-rechtliches Prinzip. Subjektivrechtliche<br />
Positionen, d. h. Ansprüche des Einzelnen<br />
begründet es aus sich heraus nicht. Insoweit könnte allenfalls<br />
die Menschenwürdegarantie des Artikel 1 Abs. 1 GG<br />
die Verbindung zwischen objektiv-rechtlicher Pflicht und<br />
subjektiv-rechtlichem Anspruch vermitteln. Nach der<br />
Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts soll Artikel<br />
1Abs. 1 GG „jedenfalls die Mindestvoraussetzungen für<br />
ein menschenwürdiges Dasein sichern“. 222 Dabei hat das<br />
Bundesverfassungsgericht es allerdings in einer neueren<br />
Entscheidung offen gelassen, ob Artikel 1 Abs. 1 GG insoweit<br />
tatsächlich ein subjektives Recht vermittelt. 223 Auch<br />
219 Die folgenden Ausführungen sind entnommen von: Höfling 2000.<br />
220 Vgl. auch BVerfGE 144, 353 (375); 57, 70 (99); 67, 193 (209, 220);<br />
68, 193 (218); BVerfG, MedR 1997, 318 f.<br />
221 Vgl. auch zusammenfassend: Künschner 1992, S. 264 ff.<br />
222 Vgl. BVerfGE 40, 121 (133); 48, 346 (361).<br />
223 BVerfGE 75, 348 (360).