Teil II - Jürgen Ritsert
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Deutschland zwischen 1900 und 1920, nicht zuletzt der jeweilige Führungsstil<br />
des Institutsleiters, bis in die Theorien der Seelenkunde hinein vermittelt hat.<br />
Wäre ich nun meinerseits gezwungen, eine gleichermaßen entschlossene<br />
Kurzdefinition zu schreiben, welche dem äußeren Anschein nach einverständige<br />
Bedeutungskern der Objektivitätsnorm für ein Lexikon der kurzen Wege<br />
zusammenfasst, dann sähe sie etwa so aus:<br />
„>Objektivität< erfordert konsensfähige Einstellungen, Haltungen und<br />
Handlungen, die den Sachen selbst gerecht werden.“<br />
Dieses Kürzel liefert genau so wenig Aufklärung wie das aus dem<br />
Wirtschaftslexikon, ist jedoch ganz gut geeignet, um eine Art Sortierraster für<br />
die Vielschichtigkeit der Dimensionen des scheinbar einheitlichen<br />
Objektivitätsbegriffes und der mit ihm verwobenen, wahrlich nicht allesamt<br />
„gelösten“ Probleme zu konstruieren. Wir stehen allein schon mit diesen beiden<br />
fragwürdigen Kurzangaben vor dem ganzen wissenschaftstheoretischen Ärger,<br />
den die ach so selbstverständliche Objektivitätsnorm bereitet und dürfen uns<br />
eines Füllhorns von Anschlussfragen angesichts der sie begleitenden<br />
Antwortversuche erfreuen. Querelen lassen sich nicht bei noch so komplexen<br />
und ausführlichen Analysen der Objektivitätsnorm vermeiden.<br />
Vokabeln wie „Konsens“ und „Sachgerechtigkeit“ in meiner Ganz-Kurz-<br />
Bestimmung hängen natürlich eng mit dem Subjekt-Objekt-Schema der<br />
Erkenntnistheorie zusammen. Auf der einen Seite findet sich die erkennende<br />
Instanz. Damit entsteht sofort das bekannte Problem, wie sich Erkenntnisakte<br />
und Erkenntnisleistungen der einzelnen empirischen Subjekte zu den ihnen allen<br />
zugesprochenen allgemeinen Kompetenzen wie ihr Denk- und Sprachvermögen<br />
verhalten? Wie kommen überhaupt einverständige Urteile über Sachverhalte<br />
(Konsens) zustande? Das allgemeine Erkenntnisvermögen wird oftmals als „das<br />
Subjekt“ bezeichnet. Es erscheint – je nach den Grundsätzen der jeweiligen<br />
Erkenntnistheorie – in verschiedenen Ausprägungen: als Nous, Idee,<br />
Bewusstsein, Denken, Vernunft, Subjekt, Geist, Diskurs, Sprache. Das alles sind<br />
bekannte Platzhalter. Auf der anderen Seite des elementaren Erkenntnismodells<br />
steht der Untersuchungsgegenstand. Auch an dieser Stelle tauchen hinlänglich<br />
geläufige Platzhalter wie das gesamte Sein, die Materie, der Stoff, eine<br />
Tatsache, das Faktum, das Ding, andere Personen, Artefakte, aber auch Themen,<br />
d.h. gedanklich-linguistische Materialien als allgemeiner Gegenstand einer<br />
Erkenntnisbemühung auf. Für den zu erkennenden Sachverhalt ist „Objekt“ das<br />
in den verschiedensten Lagern gebräuchlichste Wort. Im Bereich des Objektes<br />
sind nun auch die klassischen Wurzeln der Kategorie der „Objektivität“ zu<br />
suchen. Denn im lateinischen Verb „obicere“ steckt der Wortstamm „iacere“ –<br />
und das bedeutet „werfen“ („schleudern“). Es kommt so etwas wie das pilum,<br />
der römische Wurfspeer auf einen zu. „Obicere“ liest sich auch als<br />
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