Teil II - Jürgen Ritsert
Teil II - Jürgen Ritsert
Teil II - Jürgen Ritsert
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
Intersubjektivität des einzelnen Urteils über Sachverhalte sichern soll. Auf<br />
Einverständnis zielender Diskurs kommt dabei vor allem in der Form von Kritik<br />
durch die wissenschaftliche Öffentlichkeit zum Zuge.<br />
Objektivität und Subjektivität in der Problemzone 3<br />
(Methodische Feststellung).<br />
In der Tat gilt nicht nur im Wissenschaftsbetrieb, sondern auch im Alltag<br />
jemand als „objektiv“, wenn er sich bestimmter geregelter Wege der<br />
Problembearbeitung bedient, deren sich auch andere bedienen können, um das<br />
gleiche Ergebnis zu erzielen. Nicht selten gilt also die konsequente und<br />
kompetente Verwendung von Methoden als Garantie für „Objektivität“.<br />
„Objektiv“ bedeutet dann so viel wie „methodisch exakt“ oder „methodisch<br />
exakt vorgegangen“. Parallel dazu liegt auch das Verständnis von „objektiv“ als<br />
„exakt gemessen“. Leibniz` Traum von der mathesis universalis oder die<br />
moderne Utopie mancher Physiker, wenn sie sich auf die Suche nach der<br />
Weltformel bzw. nach einer „Theorie über alles“ begeben, beinhalten das Ideal<br />
einer absoluten Objektivität durch die Anwendung klarer und eindeutiger<br />
Verfahren. Dahinter steckt letztlich die kontrafaktische Vorstellung von einem<br />
alle Probleme automatisch wie eine Rechenmaschine auflösenden Algorithmus. 4<br />
Denn mit Hilfe von erfolgsgarantierenden Algorithmen können wir in der Tat<br />
Probleme in lösbare Aufgaben verwandeln. Demgegenüber müssen wir bei allen<br />
„echten“ Problemen, insoweit sie sich überhaupt bearbeiten lassen und uns nicht<br />
einfach nur zur Verzweiflung treiben, nach dem Prinzip von Versuch und Irrtum<br />
herumwurschteln. 5<br />
Deduktive Formalisierung als Mathematisierung, das Denken more geometrico,<br />
gilt spätestens seit Euklid als der sicherste und verlässlichste Weg (methodos),<br />
„objektive“ Erkenntnis vor allem in der Form intersubjektiven Wissens zu<br />
erzeugen. Aber selbst die Vorbildwissenschaften Mathematik und Geometrie<br />
weisen nicht den Charakter eines absoluten Algorithmus auf, den die<br />
mathematische Beweislogik und die Metamathematik der Hilbertschen<br />
Axiomatik suggerieren mögen. Mit Recht hat schon Blaise Pascal darauf<br />
aufmerksam gemacht, dass man auch in den Formalwissenschaften den esprit de<br />
géometrie, die formale Rechen- und Ableitungskunst, vom esprit de finesse,<br />
vom mathematischen Einfallsreichtum und Genie unterscheiden müsse. Es gibt<br />
auch in der Mathematik ungelöste Rätsel. Fermats „Letzter Satz“ ließ sich erst in<br />
jüngster Zeit beweisen, nachdem die Kapazitäten von Großrechnern zur<br />
Verfügung standen. 6 Doch ohne André Wiles` Genie wäre es nicht zur<br />
4<br />
S. dazu auch J. <strong>Ritsert</strong>: Materialien zur Kritischen Theorie der Gesellschaft. Heft 13: Problem, Interesse und<br />
Wert, Frankfurt/M ab 2009.<br />
5<br />
Vgl. K. R. Popper: Alles Leben ist Problemlösen. Über Erkenntnis, Geschichte und Politik, München 1996 ff.<br />
6<br />
Vgl. dazu S. Singh: Fermats letzter Satz. Die abenteuerliche Geschichte eines mathematischen Rätsels,<br />
Darmstadt 1998. Den Ausgangspunkt des Puzzles bildet der allseits bekannte Satz des Pythagoras mit seiner<br />
Feststellung der Gleichheit der Summe der Kathetenquadrate mit dem Hypothenusenquadrat in einem<br />
rechtwinkligen Dreieck. x²+y²=z². Gibt es auch eine ganzzahlige Lösung für die Gleichung x³+y³=z³? Fermat<br />
8