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Teil II - Jürgen Ritsert

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nicht aufrechterhalten. Es spricht vieles gegen seine reine epistemische Lehre, es<br />

gebe keine „Farben“ in der Welt draußen, sondern nur „Farbeindrücke“ als<br />

bloße Phänomene des Bewusstseins. Das Vermittlungsproblem in der<br />

Farbenlehre sieht nun also so aus: Wie kommt man über die Dichotomie<br />

zwischen der alltagsweltlich fest implementierten Auffassung, die Farben<br />

bedeuteten eine „objektive“ Eigenschaft der Dinge draußen und der Gegenthese<br />

professioneller Psychologen und Physiologen hinweg, sie seien nichts als<br />

psychologische Phänomene (reine Sinneseindrücke im Zusammenspiel mit<br />

Hirnschaltungen)? Nach der Auffassung von N. Gier muss man sich auch bei<br />

dieser Frage am wissenschaftlichen Perspektivismus orientieren. Eine<br />

Perspektive bedeutet eine Selektivität der Empfindung, Wahrnehmung und des<br />

Denkens gegenüber Sachverhalten und ihren Eigenschaften, wobei Einiges von<br />

dem, was ausgeblendet wird, an sich erfahren werden können. Genau an dieser<br />

offenen Stelle können dann individuelle und/oder kollektive Bestimmungen wie<br />

die Weberschen „Wertideen“ oder die Habermasschen „Erkenntnisinteressen“<br />

als konstruktive Zutaten auf der Subjektseite ansetzen! Ein objektivistischer<br />

Farbtheoretiker müsste im Rahmen der Evolutionstheorie wohl sagen, dass unser<br />

Wahrnehmungsvermögen sich entwickelte, um spektrale Reflektionen immer<br />

besser und differenzierter auffassen zu können. Der Evolutionsbiologe würde<br />

demgegenüber betonen, dass sich das Wahrnehmungsvermögen weiter<br />

entwickelte, um z.B. reife Früchte zu entdecken.<br />

„Und Tatsache ist, dass verschiedene reife Früchte, bei denen wir eine<br />

vergleichbare Farbeigenschaft wie bei der Orange feststellen,<br />

verschiedene spektrale Beugungen aufweisen werden. Obwohl das<br />

Wahrnehmungssystem auf spektrale Reflektionen reagiert, wird die<br />

relevante Menge der Reflektionen nicht durch irgendwelche ganz<br />

bestimmte physikalische Charakteristika der Reflektion selbst bestimmt,<br />

sondern auch durch den Ernährungswert der Objekte, welche diese<br />

Lichtbrechungen hervorrufen.“ 55<br />

Die für den Wahrnehmenden relevante Menge der spektralen Reflektionen, also<br />

das, was er als die charakteristische Farbe der Dinge phänomenologisch<br />

wahrnimmt, wird nicht durch physikalische Wesensmerkmale der Objekte eineindeutig<br />

festgelegt. Relevanzkriterien beeinflussen die Farbqualität. An diesen<br />

grundlegen Einsichten in ein Vermittlungsverhältnis ändert sich auch nichts,<br />

wenn man die Erweiterung unserer Sinne durch irgendwelche optischen<br />

Gerätschaften berücksichtigt. Nichts, was beobachtet wird, lässt sich unabhängig<br />

von den Medien der Beobachtung darstellen. Alles Ansich ist immer für uns ein<br />

Ansich – auch und gerade wenn wir die großartigsten Apparaturen einsetzen.<br />

Denn dabei wirkt sich die innere Selektivität der Beobachtungsapparatur aus.<br />

Auch ein noch so komplexer Beobachtungsapparat wie ein MRT macht nur<br />

55 A.a.O.; S. 30.<br />

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