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Teil II - Jürgen Ritsert

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Mechanische und strukturelle Objektivität. 101<br />

„Die Natur soll für sich selbst sprechen!“ Das ist nach Daston und Galison das<br />

Schlagwort der neu entstehenden Grundvorstellung von „Objektivität“. Es kam<br />

nach ihrem Eindruck damals geradezu zur Umkehrung der Werte zur<br />

Beurteilung von wissenschaftlichen Abbildungen.<br />

„Wo die idealisierende Intervention von den frühen Produzenten von<br />

Atlanten als eine Tugend aufrechterhalten wurde, verkehrte sie sich in den<br />

Augen vieler ihrer Nachfolger zum Laster.“ 102<br />

Den Wissenschaftler wird verboten, ihren eigenen Willen und ihre<br />

Vorstellungen auf die Natur zu projizieren. Der Ausdruck „mechanische<br />

Objektivität“ wird deswegen gewählt, weil die persönlichen Zutaten des<br />

Wissenschaftlers bei jeder Wissensgewinnung so weit wie möglich<br />

auszuschalten und zu unterdrücken seien. Die spezifischen Anteile des<br />

Beobachters sollen zugunsten seiner Rolle als neutrale und gleichsam<br />

mechanisch-algorithmisch funktionierende Registraturinstanz oder als Bediener<br />

von neutralen Apparaturen zur Datenerfassung so weit wie irgend möglich<br />

zurückgedrängt werden. Mit Hegels Worten könnte man sagen: Die erste<br />

Stellung des Gedankens zur Objektivität wird zu einem Programm erhoben, das<br />

sich auf neue Apparaturen zur Erkenntnisgewinnung und Wissensverarbeitung<br />

stützen kann und in der Tat die romantische Vorstellung des künstlerisch<br />

gesonnenen Autors hinter sich lässt. Die Abbildungen in den Atlanten sollten<br />

dementsprechend den Einzelfall genau wiedergeben, statt einer in den<br />

Erscheinungen steckenden Urform einen bildlichen Ausdruck zu verleihen.<br />

„Die ´objektive` Abbildung individueller Gegenstände verlangte einen<br />

spezifischen, verfahrensmäßigen Gebrauch von Bildtechnologien, von<br />

denen einige so alt waren wie der Lithograph oder die camera lucida,<br />

andere so taufrisch waren wie die Photomikrographie des späten 19.<br />

Jahrhunderts. Diese Protokolle stellten darauf ab, das einzelne Exemplar<br />

ohne diejenige Verzerrung erscheinen zu lassen, welche charakteristisch<br />

für den persönlichen Geschmack des Beobachters, seine Parteinahmen<br />

oder Ambitionen sind.“ 103<br />

„Objektivität“ gebietet im idealen Fall allem Anschein nach die absolute<br />

Selbstvergessenheit, letztlich die Negation der zweiten Stellung des Gedankens.<br />

Anstelle der Freiheit des Willens schienen ab der Mitte des 19. Jahrhunderts<br />

101 Vgl. dazu auch: Th. M. Porter: Objectivity as Standardization: The Rhetoric of Impersonality in<br />

Measurement, Statistics, and Cost-Benefit Analysis und K. J. Gergen: The Mechanical Self an the Rhetoric of<br />

Objectivity, beide in A. Megill (Ed.): Rethinking Objectivity, Durham and London 1994, S. 197 ff. und S. 265 ff.<br />

102 A.a.O.; S.120.<br />

103 A.a.O.; S. 121.<br />

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