Teil II - Jürgen Ritsert
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platzieren, in der wir nicht das Zentrum darstellen.“ 41 Diese Problematik der<br />
Dezentrierung ergibt sich sowohl in der ersten als auch in der zweiten Stellung<br />
des Gedankens zur Objektivität. Wir müssen den Geist immer auch als ein<br />
allgemeines Merkmal der Realität begreifen. Insofern müssen wir uns selbst z.B.<br />
als ein „Ich, das Wir“ ist (Hegel), als Beispielfall von allgemeineren<br />
Bestimmungen ansehen, um uns in eine zentrumlose Welt einordnen zu können.<br />
Aber werden wir dadurch wirklich gezwungen, uns als Element der Welt und<br />
die anderen „fühlenden“ und denkenden Wesen darin ausschließlich in der<br />
Perspektive des erkenntnistheoretischen Absolutismus, also beispielsweise<br />
physikalistisch, comme des choses (Durkheim) zu betrachten? Nagel verneint<br />
diese Frage immer wieder, obwohl wir andererseits nicht darüber hinwegsehen<br />
können, dass ein objektiver Begriff des Geistes die Fähigkeit voraussetzt, die<br />
eigenen Erfahrungen von außen – und das heißt: immer auch als Ereignisse in<br />
der Welt zu betrachten. Im Spannungsverhältnis zwischen objektivierendem<br />
Außenstandpunkt und privilegiertem oder nicht privilegiertem Innenstandpunkt<br />
bei Blick auf „geistige“ Phänomene schwanken alle Diskussionen dieser Art<br />
ständig hin und her. Und die These, eine „objektive“ Seelenlehre könne nur<br />
dann „objektive“ Einsichten erreichen, wenn sie nach Art der<br />
Experimentalphysiker und Mathematiker, also „objektivistisch“ ist ebenso<br />
nachdrücklich präsent.<br />
Unumgänglich sind zudem implizite oder explizite Voraussetzungen hinsichtlich<br />
des Verständnisses von Objektivität als Wahrheit. Für jeden Blickwinkel von<br />
irgendwo her stellt sich nun einmal die Frage, wie stichhaltig er wohl sein mag?<br />
Auch dem alten Problem der Objektivität als Ergebnis von diskursiven und/oder<br />
methodischen Prozessen und Verfahren zur Erzielung allgemeinverbindlicher<br />
Wissensbestände kann man nicht ausweichen. Dieses klassische Problem der<br />
„Objektivität“ als Allgemeinverbindlichkeit von Urteilen oder als<br />
„Notwendigkeit“ der Verwendung allgemeiner Kategorien des Verstandes (etwa<br />
nach der Lehre von Kant) bringt Nagel im Hinblick auf die Bedienungen der<br />
Möglichkeit der Erfahrung in folgende Frageform:<br />
„Die Problematik besteht darin, ob es ein allgemeines Konzept der<br />
Erfahrung geben kann, das weit über unsere eigene oder ihr ähnliche<br />
hinaus reicht“? 42<br />
In der Tat! Diese Frage muss gestellt werden, wenn man – wie gesagt – keinen<br />
Solipsismus vertritt, also etwas gegen die skurrile Ansicht hat, die einzelnen<br />
Perspektiven der einzelnen Personen seien völlig „inkommensurabel“, wiesen<br />
keinerlei allgemeinen Eigenschaften, nicht einmal Familienähnlichkeiten auf.<br />
Jeder würde dann gleichsam in einer abgeschlossenen Sinnkapsel so vor sich<br />
hausen. Objektivität der Perspektiven verlangt ebenfalls Schritte zur<br />
41 Ebd.<br />
42 A.a.O.; S. 21.<br />
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