Teil II - Jürgen Ritsert
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Wissenschaft eine wirkliche Wirklichkeit, an die wir mit unseren<br />
Erkenntnisvermögen nur nicht herankommen.“ 142<br />
Diese Aussage erinnert an Rortys Kritik an Modellen einer langfristigen<br />
Approximation der wissenschaftlichen Arbeit in Forschergemeinschaften an die<br />
Wahrheit. Es hat sich an den verschiedensten Stellen gezeigt: Zum<br />
rechthaberischen Realismus als einer Erscheinungsform der ersten Stellung des<br />
Gedankens zur Objektivität gehört das Postulat der Selbstdurchstreichung. Es<br />
geht um die Verdrängung von Subjektivität aus dem Erkenntnisspiel.<br />
Dementsprechend finden sich nach S. Harding auch im Feminismus<br />
Denkweisen, die davon ausgehen, ein männlicher „bias“ ließe sich durch<br />
„striktere Anwendung der bereits existierenden methodologischen Normen<br />
wissenschaftlicher Untersuchung“ korrigieren. 143<br />
Bei der zweiten Stellung des Gedankens zur Objektivität geht es nicht nur<br />
darum, den konstruktiven Anteile des erkennenden Subjekts beim Machen von<br />
Erfahrungen und dem Gewinnen von Erkenntnissen Rechnung zu tragen, es geht<br />
auch um die Berücksichtigung verschiedener möglicher Perspektiven auf die<br />
nämlichen Gegebenheiten. Wenn aber die Verschiedenheit der Perspektiven von<br />
Individuen und Gruppen gleichsam konstitutiv für Erkenntnis ist und der<br />
Sachverhalt, dass Aussagen unter einer Perspektive gemacht werden nicht<br />
zwangsläufig bedeutet, dass sie falsch sind, bedeuten Verschiedenheiten und<br />
Gegensätze weiblicher und männlicher Blickwinkel auf einen konkreten Fall<br />
nicht automatisch das Problem! Beide können wahr, beide können im Angesicht<br />
der spezifischen Problemlage falsch sein! Daher kann nicht das eine, alles<br />
erfassende Sprachspiel das Ziel „objektiven“ Denkens sein, sondern<br />
„Objektivität“ setzt geradezu eine Haltung der Offenheit gegenüber all dem<br />
voraus, was sich der einen Perspektive entzieht und in einer möglichen anderen<br />
an den Gegebenheiten aufscheinen könnte. Die feministische Kritik an<br />
maskulinen Betrachtungsweisen, Normbindungen sowie an Beispielen eines<br />
maskulinen Welt- und Wissenschaftsverständnisses versteht sich von daher viel<br />
überzeugender als Ideologiekritik, als Kritik an patriarchalischen Denk- und<br />
Aktionsmustern. Es geht zum Beispiel um „die Beseitigung androzentrischer<br />
Verzerrungen im Denken und Handeln.“ 144 Genau mit diesem Anspruch hat die<br />
feministische Wissenschaftskritik eine Reihe von naturwüchsigen<br />
Naturwissenschaftlern so sehr erschreckt, dass sie in den science wars der<br />
jüngeren Vergangenheit nicht nur die Vertreter der Edinburgher Schule der<br />
(Natur-)Wissenschaftssoziologie oder kritische Theoretiker der verschiedensten<br />
Art, sondern nicht zuletzt auch Feministinnen ins Visier genommen haben.<br />
Diese reagierten mit Antworten wie der folgenden:<br />
142 H. Steinert: Genau hinsehen, geduldig nachdenken und sich nicht dumm machen lassen, in ders. (Hrsg.): Zur<br />
Kritik der empirischen Sozialforschung, Studientexte zur Sozialwissenschaft Bd. 14, Frankfurt/M 1998, S.67.<br />
143 S. Harding: Feministische Wissenschaftstheorie, a.a.O.; S. 22.<br />
144 A.a.O.; S. 114.<br />
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