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Teil II - Jürgen Ritsert

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Allem Anschein nach bewegt sich die Diskussion über „Objektivität“ in den<br />

modernen Wissenschaften zwischen zwei Eckpunkten hin und her.<br />

(1) Am einen Ende wird „Objektivität“ als eine oftmals der professionellen<br />

Ideologie nach homogene, in Wahrheit heterogene Kategorie gebraucht, welche<br />

ihre entscheidenden Akzente auf die Subjektseite setzt. Deswegen wird<br />

beispielsweise eine Fülle epistemischer Tugenden erwähnt, welche dem<br />

wissenshungrigen Forscher anzusinnen sind. Schaut man diesen Tugendkatalog<br />

etwas näher an, dann tauchen natürlich sehr viele Normen auf, die in der<br />

Geschichte der Erkenntnistheorie immer schon, lange als erkenntnisfördernd<br />

galten. Ich erinnere nur noch einmal an den klassischen habitus asserta<br />

demonstrandi, an die Erwartung, dass man grundsätzlich Beweislasten für die<br />

eigenen stolzen Behauptungen übernehme. Auf die Idee, dass solche Art<br />

Attituden die Einsichten fördern, ist also nicht bloß die Moderne gekommen.<br />

Erwartungen an die Bereitschaft zur Beweisübernahme durch Argumente und<br />

Belege – sowie zahlreiche andere objektivitätsfördernden Haltungen und<br />

Einstellungen – sind mindestens so alt wie die ersten systematischen<br />

Überlegungen zur Logik oder zur Geometrie. Das Postulat der Dezentrierung<br />

des erkennenden Subjekts und seiner „Ideosynkrasien“ scheint in der Tat seinen<br />

Ursprung im 19. Jahrhundert zu haben.<br />

(2) Am anderen Ende des Spektrums liegen die Schwerpunkte auf den zu<br />

erkennenden Sachverhalten, worauf auf die verschiedensten Weisen Bezug<br />

genommen wird. Ich kann nicht erkennen, dass es irgendjemandem – auch nicht<br />

den referierten Autoren – in der Neuzeit gelungen sei, die Diskussion über<br />

„Objektivität“ von der bunten Mannigfaltigkeit der Probleme mit „der<br />

Wahrheit“, d.h. von den Implikationen einer Wahrheitstheorie oder von den<br />

jeweils bevorzugten Wahrheitskriterien abzulösen. Skeptizisten, Relativisten,<br />

Konstruktivisten, sie allesamt werden diese Probleme nicht los, gleichgültig<br />

welche Wendungen sie ihnen geben. Denn es wimmelt es in ihren Theorien<br />

geradezu von Aussagen mit dem Anspruch auf zutreffenden, „objektiven“<br />

Gegenstandsbezug und von Hinweisen darauf, dass die Person P oder die<br />

Gruppe G unrecht hat, weil sie anders als der jeweilige Autor nicht sieht, was<br />

tatsächlich in der Welt so der Fall ist. Darüber hinaus ist es schlechthin<br />

sinnfällig, dass Worte wie „epistemisch“, „Wissen“, „Erkenntnis“, „Erfahrung“<br />

… natürlich immer auch etwas mit dem Zutreffen oder Nicht-Zutreffen von<br />

Eindrücken, Ansichten, Behauptungen, Vermutungen zu tun haben – so<br />

extravagant die Vorschläge zu ihrer Verwendung ansonsten auch sein mögen.<br />

Insofern lässt sich der Objektivitätsbegriff nicht vom jeweiligen Stand des<br />

Wissens über Sachverhalte, von Ontologien und Erkenntnistheorien ablösen.<br />

Hinzu kommt die Verschiedenartigkeit der Auffassungen über die<br />

Grundrelationen zwischen den Polen „Erkenntnisinstanz“ und<br />

„Erkenntnisgegenstand“, ob da nun vom Verhältnis zwischen Subjekt und<br />

Objekt oder stattdessen etwa zwischen Signifikand und Signifikat etc.<br />

gesprochen wird. Kurzum: Die Objektivitätsdiskussion ist wahrlich nicht von<br />

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