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Teil II - Jürgen Ritsert

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Vorstellung eines neutralen und daher objektiven Wissens als ein Erkennen, von<br />

dem angenommen wird, es sei „gewissermaßen ein passives Medium, durch<br />

welches hindurch das Licht der Wahrheit an uns gelangt …“ 88 Eine derartige<br />

Ansicht des Wissens als „blindes Sehen“ – so lautet die erste zentrale These der<br />

beiden Autoren – setzt sich erst in der Mitte des 19. Jhs. in Europa so richtig<br />

durch. Wie diese Objektivitätsnorm damals verstanden, verteidigt und<br />

verwendet wurde und wie sie sich später veränderte, das will die Studie anhand<br />

der Produktion wissenschaftlicher Bilder nachzeichnen. Darunter sind keine<br />

Metaphern als Bestandteil von Theorien, sondern im buchstäblichen Sinne<br />

künstlerische Illustrationen von wissenschaftlichen Befunden zu verstehen.<br />

„Wir haben die Wahl getroffen, die Geschichte wissenschaftlicher<br />

Objektivität im Hinblick auf Bilder zu erzählen, die der langen Tradition<br />

wissenschaftlicher Atlanten entstammen, jenen Sammlungen<br />

ausgewählter Bilder, welche die wichtigsten Objekte der Forschung in<br />

einer Disziplin identifizieren.“ 89<br />

Nicht zuletzt Blumen und Tiere tauchen als beliebte Motive alter Atlanten auf.<br />

Auf dem Hintergrund der Erkenntnisinteressen einer Forschergemeinschaft<br />

führen diese Abbildungen Untersuchungsgegenstände und deren für relevant<br />

gehaltenen Merkmale exemplarisch vor Augen. „Sie bedeuten die Wörterbücher<br />

für die Wissenschaften des Auges.“ 90 Entweder leiten sie Novizen an, die Dinge<br />

so zu sehen wie die gestandenen Mitglieder der Zunft oder sie dokumentieren<br />

neue Sichtweisen auf Objekte, welche aufgrund der Veränderung von<br />

Beobachtungsverfahren und Beobachtungstechnologien möglich werden. In den<br />

„meisten Atlanten von Beginn des 18. Jhs. an stellen Bilder das A und O des<br />

Genres dar.“ 91 Aber wie verhalten sich die Bilder in den Atlanten zur<br />

„epistemischen Tugend“ der Objektivität? So wie die beiden Autoren<br />

„Objektivität“ verstehen und definieren, taucht diese Norm ja erst in der Mitte<br />

des 19. Jhs. auf. Erkenntnistheoretische Grundvorstellungen aus den Zeiten<br />

davor bilden die Kontrastfolie, um die neuzeitlichen Objektivitätsvorstellungen<br />

klarer erfassen zu können. Vorher lautete das dominierende Erkenntnisideal<br />

nach der Ansicht von Daston und Galison: Angemessenheit der Erkenntnis und<br />

des Wissens an die wahre Natur der Dinge. Erst danach kommt das Ideal des<br />

neutralisierten Beobachters zum Zuge und erst viel später, zu unseren Zeiten<br />

wird die ausgebildete Urteilskraft (trained judgement) zum Prinzip erhoben.<br />

Berücksichtigt man die gar mannigfaltigen Dimensionen des gebräuchlichen<br />

Objektivitätsbegriffes, auf die wir bislang gestoßen sind, dann geht es bei<br />

Daston und Galison im Grunde nur um einige wesentliche Aspekte dieser<br />

88 G. W. F. Hegel: Phänomenologie des Geistes (Ed. Hoffmeister), Hamburg 1952, S. 63.<br />

89 Daston/Galison, a.a.O.; S. 17.<br />

90 A.a.O.; S. 22.<br />

91 Ebd.<br />

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