Teil II - Jürgen Ritsert
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welche besagt, es gäbe eine einzige dauerhafte Realität hinter den vielen<br />
vorübergehenden Erscheinungen.“ 80<br />
Die Ironiker sind sich dagegen (d) der Tatsache bewusst, dass aufgrund des<br />
Widerspiels verschiedener Perspektiven, Deutungs- und<br />
Beschreibungsmöglichkeiten die Zweifel am eigenen „letztendlichen<br />
Vokabular“ niemals völlig ausgeräumt werden können. Wenn das nicht in einen<br />
leerlaufenden Skeptizismus auslaufen soll, kann es im Grunde nur eines heißen:<br />
Die Reflexion auf sich (2. Stellung des Gedankens) muss immer mit der<br />
Relevanz anderer Perspektiven als der eigenen rechnen und sich ausdrücklich<br />
daran bilden und weiterbilden. Dem entspricht ziemlich genau die gute alte<br />
Empfehlung Hegels, sich bei der Überprüfung der eigenen Gedanken in die<br />
Stärke der Kontrahenten zu versenken, anstatt mit ihren Schwächen<br />
abzurechnen. Ironiker vertreten (e) keineswegs die Meinung, ihr eigenes<br />
Vokabular käme den tatsächlichen Gegebenheiten näher als ein anderes. Es ist in<br />
dieser Hinsicht nicht als „objektiver“ auszuweisen. Allerdings hat diese<br />
ostentative Bescheidenheit einen sinnfälligen Haken. Auch der Ironiker kann<br />
nicht dem Problem der Bewertung anderer Perspektiven ausweichen. Selbst<br />
wenn ihm bestimmte Perspektiven gleichgültig sind, wird er sie nicht alle für<br />
gleich gültig – etwa für gleichermaßen pragmatisch tauglich halten. Rorty betont<br />
ausdrücklich, die Ansichten des Pragmatisten seien „besser als die des<br />
Realisten“. 81 Er distanziert sich (f) vor allem vor allem von der klassischen<br />
rationalistischen Idee eines Objektivität verbürgenden, „neutralen und<br />
universellen Metavokabulars“. Ausgeprägte Vorbehalte hegt er schließlich (g)<br />
gegenüber der Strategie, sich durch den Wust der Erscheinungen hindurch zum<br />
Wesentlichen durchzuarbeiten. Damit folgt er Nietzsches bekannter Kritik an<br />
den „spitzfindigen Metaphysiker(n) und Hinterweltler(n).“ In dieser Hinsicht<br />
könnte der Abstand Rortys gegenüber Adorno und der Tradition des<br />
Hegelmarxismus kaum größer sein. Adorno hat ja sein Leben lang darauf<br />
beharrt:<br />
„Wesen und Erscheinung sind kein Märchen aus alten Zeiten, sondern<br />
bedingt von der Grundstruktur einer Gesellschaft, die notwendig ihren<br />
eigenen Schleier zeitigt.“ 82<br />
Rorty verwahrt sich immer wieder gegen Einwände, seine Theorie sei typisch<br />
postmodern, relativistisch, aufklärungsfeindlich, ja, wenn nicht sogar<br />
antidemokratisch. Weder wolle er behaupten, dass ein Gedankensystem so viel<br />
taugt wie das andere, noch dass es so viele Bedeutungen des Prädikates „wahr“<br />
(und damit auch des Eigenschaftswortes „objektiv“) gibt, wie es<br />
80 A.a.O.; S. 74.<br />
81 R. Rorty: Solidarität oder Objektivität, a.a.O.; S. 15<br />
82 Th. W. Adorno: Soziologische Schriften I; Frankfurt/M 1979, S. 544.<br />
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