Geburten und Geburtshilfe in Deutschland - Barmer GEK
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Nach der Analyse von über e<strong>in</strong>er Million <strong>Geburten</strong> Ende der 90er Jahre charakterisierten<br />
Schwarz <strong>und</strong> Schück<strong>in</strong>g (2004) das damalige Geschehen treffend als "Technisierung der<br />
'normalen' Geburt". Wenn man davon ausgeht, dass diese Technisierung <strong>in</strong> der Regel nicht<br />
gegen den erklärten Willen der Schwangeren <strong>und</strong> ihres sozialen Umfeldes erfolgt <strong>und</strong> der<br />
Wunsch jeder gerade schwanger gewordenen Frau die "normale natürliche Geburt e<strong>in</strong>es<br />
ges<strong>und</strong>en K<strong>in</strong>des nach komplikationsfreier Schwangerschaft" ist, stellt sich die Frage,<br />
warum sich der Charakter von Schwangerschaft <strong>und</strong> Geburt so deutlich verändert?<br />
Um dies verstehen zu können, sollte man sich die vielfältigen <strong>und</strong> fast systematischen<br />
Bemühungen vor Augen führen, nahezu alle Aspekte <strong>und</strong> Etappen des K<strong>in</strong>derkriegens als<br />
riskant, belastend, potenziell pathologisch, schmerzhaft <strong>und</strong> beängstigend ersche<strong>in</strong>en zu<br />
lassen. Dabei konzentriert sich die <strong>in</strong> Fach- <strong>und</strong> Laienpublikationen geführte Debatte immer<br />
mehr auf "Ängste vor den seelischen <strong>und</strong> körperlichen Folgen e<strong>in</strong>er vag<strong>in</strong>alen Geburt"<br />
(Faridi et al. 2002, A47) <strong>und</strong> deren systematische Medikalisierung. Das risiko- <strong>und</strong> angsterfüllte<br />
Klima sorgt für das Angebot, die eigenständige oder anbieter<strong>in</strong>duzierte Nachfrage<br />
<strong>und</strong> Akzeptanz kont<strong>in</strong>uierlicher technischer <strong>und</strong> professioneller Hilfe jedweder Art. Dies<br />
führt dann weiter zu e<strong>in</strong>er immer wieder beobachteten "Über-Standardversorgung"<br />
(Schwarz/Schück<strong>in</strong>g ...) von risikofreien Schwangeren bei gleichzeitiger Unterversorgung<br />
wirklicher Risikoschwangerer.<br />
Exemplarisch für die unerwünschten oder unwünschbaren mentalen Folgen dieser Art von<br />
Risiko-Kommunikation ist das Motto der bereits erwähnten Internet-Debatte: "E<strong>in</strong>fach<br />
guter Hoffnung se<strong>in</strong> - darf man das noch?" In diesem Forum melden sich Tag für Tag<br />
H<strong>und</strong>erte von "Spät- oder andere Risikogebärende", die mit der Vielzahl risikofixierter<br />
Ängste <strong>und</strong> Nöten 53 nicht mehr alle<strong>in</strong>e zu recht kommen <strong>und</strong> sie offensichtlich auch nicht<br />
mit Laien oder Professionals ihres alltäglichen Umfelds klären können.<br />
Existiert erst e<strong>in</strong>mal e<strong>in</strong>e argumentative Kette, die e<strong>in</strong>er Schwangerschaft a priori hohe<br />
Risiken zumisst aber dann pr<strong>in</strong>zipiell die Möglichkeit eröffnet, wichtige Risiken durch<br />
entsprechende Hilfen <strong>und</strong> Interventionen m<strong>in</strong>dern zu können, startet e<strong>in</strong>e "Interventionskaskade"<br />
(Schück<strong>in</strong>g). Diese verselbständigt sich rasch <strong>und</strong> zw<strong>in</strong>gt dann selbst die Anbieter<br />
all dieser Hilfen zu <strong>in</strong>haltlich uns<strong>in</strong>nigem Tun. So, wenn sie fürchten nach dem Unterlassen<br />
e<strong>in</strong>er der risikom<strong>in</strong>dernden Aktivitäten <strong>und</strong> dem E<strong>in</strong>treten tatsächlicher ges<strong>und</strong>heitlicher<br />
Probleme beim Embryo oder dem neugeborenen K<strong>in</strong>d von den Eltern des K<strong>in</strong>des<br />
haftbar gemacht <strong>und</strong> mit möglicherweise extrem hohen Schadenersatzforderungen konfrontiert<br />
zu werden. Die immer wieder zu hörende Erklärung, h<strong>in</strong>ter mancher mediz<strong>in</strong>isch<br />
eigentlich s<strong>in</strong>nlosen Maßnahme stecke "die Versicherung", trifft teilweise wirklich zu.<br />
Häufig wird aber vernebelt, dass es auch am Aufbau der geschilderten Risiko-Kulisse<br />
durch die professionellen Akteure selber liegt, wenn e<strong>in</strong>e Schwangerschaft manchmal nur<br />
53 Über die Wirkungen der skizzierten Risikokommunikation kann sich jeder, der noch nie mit<br />
Schwangerschaft oder Elternschaft zu tun hatte, unter der folgenden Adresse e<strong>in</strong>en E<strong>in</strong>druck<br />
verschaffen: http://www.1000fragen.de/<strong>in</strong>dex.php?<br />
sid=kOrx@fg@yiyiyfmYdNl03RlQrx&mo=36&pt=4&pi=8398&flash=2.<br />
<strong>GEK</strong>-Edition 99