Das Tier in der Religion, mit hundertzwei Abbildungen

kleinere Tiere, in Seidenwürmer oder Zikaden
verwandelt werden. Aus den Seelen erschla-
gener Heerhaufen oder aus dem Atem der in
Not Gestorbenen gehen Schwärme von Heu>
schrecken hervor.
In anderen Fällen gelangen Holzwürmer,Wes-
pen, Ameisen etc. zur Führung eines Daseins,
das der Art von Menschen entspricht. Holz-
würmer erscheinen als Totengräber. Ameisen
als Soldaten. Wenn sie aus einer schwierigen
Lage befreit werden, so helfen sie dem Be-
freier wiederum aus einer schlechten Lage,
zernagen den Holzklotz, in dem er gefangen
sitzt oder die Stricke : Kurz, es gibt genau wie
überall auf der Erde bei den Chinesen viele
Sagen über die hilfreichen Tiere.
In anderen Fällen irrt ein Mann in unbekann-
ter Landschaft umher, sieht von fern ein Licht,
wird in einem leuchtenden Haus aufgenom-
men und genährt und sieht im Erwachen des
Morgens,daß erin einerMuschel geschlafen hat.
Kurz, man könnte über die Symbiose von Tie-
ren und Menschen bei den Chinesen ein außer-
ordentlich reiches Material zusammenstellen.
Es handelt sich aber darum, aus den Berich-
ten dieser Art zunächst einmal den Grundge-
danken zu fixieren, der den Menschen mit dem
Tier verbunden hat.
Das Ergebnis haben die Chinesen in frühester
Zeit selbst ausgesprochen, und es ist eine ganz
lebensfähige und lebenswichtige Vorstellung,
die uns entgegentritt, wenn wir ihr nur aus
westUcher Befangenheit entgegenkommen
wollen.
Das Wesentliche im Dasein sind Lebenskeime,
die überall vorhanden sind und sich zu einer
Gestalt kristallisieren mit jedem Stoff zu-
sammen, der sich ihren Kräften erschließt.
Gelangt der Lebenskeim in das Wasser, so
kristallisiert er sich als Fisch.
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Berührt er zugleich Wasser und Erde, so ent-
steht ein Frosch. Berührt er das Feld oder den
Berg, so entsteht zuerst eine Pflanze, aus de-
ren Blättern bei einer erneuten Belebung dann
SchmetterUnge werden.
Aus einem Baum und einem uralten Bambus-
busch, der keine Schößlinge mehr treibt, ent-
steht ein Leopard : Aus
diesem das Pferd und
aus diesem der Mensch. Der Mensch aber,
wenn er zerfällt, bringt aus sich wieder alle
anderen Wesen hervor.
Diese Angaben sind eine kurze Zusammen-
fassung aus chinesischer Quelle. Es geht aus
ihr ein ganz konsequenter und durchgedach-
ter Animismus hervor, für den wir sonst auf
der Erde keine literarischen Dokumente ha-
ben, obwohl er viele Jahrtausende lang ohne
Zweifel die bedeutendste herrschende Lehre
war. Wenn ein Baum lange gewachsen ist, so
muß er einen Lebensgeist durch sein Alter
entwickelt haben, der als Gestalt so wenig
nachzuweisen ist, wie der Geist eines Men-
schen. Wenn aber dieser Baum eingeht, so
wird sein Lebensgeist der führende Same in
einer neuen Geburt, die aus anderer pflanz-
licher Materie, die in Verfall ist, ein Tier zum
Dasein bringen kann. Durch das Alter, so
heißt es immer wieder, werden die Wesen in
ein höheres Stadium verwandelt. Insekten,
die tausend Tage alt sind, werden zu Vögeln,
und damit kann nichts anderes gemeint sein,
als daß ihr hochentwickelter Lebensgeist zu
neuen Verbindungen geführt wird. Die Chi-
nesen haben diese naturwissenschaftlichen
Vorstellungen dann im höchsten Grade aus-
geprägt in ihrer Lehre über den Menschen
selbst. Der Mensch von hohem Alter ist in der
lebenden Natur die Erscheinung von höch-
stem Wert. Hier müssen sich die jungen Ge-
nerationen bedingimgslos unterwerfen und für