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Zünderle" und seine Zeit

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hungrige Nachtvögel, die gierig nach Beute jagend ans Fenster pickten,<br />

hieß es gleichsam wieder: „Jesses, Mar' <strong>und</strong> Josef, da muß eins am Ster-<br />

ben liegen, hört nur wie der ,Wegevoger klopft <strong>und</strong> klopft — weg, weg!"<br />

Ganz furchterregend deuteten auch die schreienden Rufe der Käutzle,<br />

wenn sie vom Wald her in die finstere Nacht hineinheulten, Unheil an.<br />

Und so, um verhängnisvoll Schlimmes abzuwenden, wurde immerzu ge-<br />

betet <strong>und</strong> wieder gebetet. Konnte sich einer der wilden Buben nicht auf<br />

die Andacht konzentrieren, weil ihm die Gaß draußen herzlich lieber<br />

gewesen wäre, bekam er eine saftig hinter die Ohren gebätscht mit der<br />

strengen Mahnung: „Du Satan, du liädriger, witt du jetzt rächt bädde."<br />

Auf solch eine züchtige Art wurde der Gehorsam absolut unter dem Wil-<br />

len der krankhaften Phantasie gebeugt. Vernünftigerweise ist die Er-<br />

ziehung heutigentags menschenwürdiger geworden. Die junge Genera-<br />

tion weiß nichts mehr von den unverschämten, hierarchischen Zwän-<br />

gen, mit denen man das Fußvolk rigoros am Riemen zügeln konnte <strong>und</strong><br />

es wird recht gut so sein!<br />

Wir Buben gingen immer mit brennender Wißbegier zum Zünderle in<br />

<strong>seine</strong> w<strong>und</strong>erliche Stube, wo überall an den Wänden <strong>und</strong> Schäften merk-<br />

würdige Dinge zu sehen waren. Von überallher sang <strong>und</strong> pfiff <strong>und</strong> tickte<br />

es. In der Ecke stand ein Gramophon mit einem riesigen Schalltrichter,<br />

aus dem laut herausgeschrien kam: „Die Männer sind alle Verbrecher, ihr<br />

Herz ist ein finsteres Loch, doch lieb sind sie doch". Rührten wir an<br />

diesen für uns noch rätselhaften Dingen herum, streckte er warnend den<br />

Zeigefinger <strong>und</strong> brummte bissig: „Büble loßt d' Finger weg, es zündet"!<br />

Und obwohl wir dieses allwissende, witzige Männlein mit <strong>seine</strong>n vielen<br />

schönen Turteltauben <strong>und</strong> Kanarienvögel wie einen Halbgott verehrten,<br />

nannten wir ihn von nunan heimlich nur noch der „Zünderle".<br />

Wie es im Dorf so ist, hat fast jeder <strong>seine</strong>n Spitznamen im Hauswappen.<br />

Und so ward sein feudaler Name „Herzog" rasch in Zünderle umge-<br />

tauft <strong>und</strong> so blieb ihm diese Würde <strong>seine</strong>r Lebzeit <strong>und</strong> noch übers<br />

Grab hinaus, bis zum heutigen Tag lebendig erhalten. Keine Menschen-<br />

seele aber weiß mehr, daß einmal in Sulz auch eine Familie „Herzog"<br />

gehaust <strong>und</strong> gelebt hat, im Strom der <strong>Zeit</strong> aber untergegangen ist.<br />

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