Siddhartha. Eine indische Dichtung.pdf
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Flusses Stimme zu ihm sprach, von ihr lernte er, sie erzog<br />
und lehrte ihn, der Fluß schien ihm ein Gott, viele<br />
Jahre lang wußte er nicht, daß jeder Wind, jede Wolke,<br />
jeder Vogel, jeder Käfer genau so göttlich ist und<br />
ebensoviel weiß und lehren kann wie der verehrte<br />
Fluß. Als dieser Heilige aber in die Wälder ging, da<br />
wußte er alles, wußte mehr als du und ich, ohne Lehrer,<br />
ohne Bücher, nur weil er an den Fluß geglaubt<br />
hatte.«<br />
Govinda sagte: »Aber ist das, was du ›Dinge‹<br />
nennst, denn etwas Wirkliches, etwas Wesenhaftes? Ist<br />
das nicht nur Trug der Maja, nur Bild und Schein?<br />
Dein Stein, dein Baum, dein Fluß – sind sie denn<br />
Wirklichkeiten?«<br />
»Auch dies«, sprach <strong>Siddhartha</strong>, »bekümmert mich<br />
nicht sehr, Mögen die Dinge Schein sein oder nicht,<br />
auch ich bin alsdann ja Schein, und so sind sie stets<br />
meinesgleichen. Das ist es, was sie mir so lieb und verehrenswert<br />
macht: sie sind meinesgleichen. Darum<br />
kann ich sie lieben. Und dies ist nun eine Lehre, über<br />
welche du lachen wirst: die Liebe, o Govinda, scheint<br />
mir von allem die Hauptsache zu sein. Die Welt zu<br />
durchschauen, sie zu erklären, sie zu verachten, mag<br />
großer Denker Sache sein. Mir aber liegt einzig daran,<br />
die Welt lieben zu können, sie nicht zu verachten, sie<br />
und mich nicht zu hassen, sie und mich und alle Wesen<br />
mit Liebe und Bewunderung und Ehrfurcht betrachten<br />
zu können.«<br />
»Dies verstehe ich«, sprach Govinda. »Aber eben<br />
dies hat er, der Erhabene, als Trug erkannt. Er gebietet<br />
Wohlwollen, Schonung, Mitleid, Duldung, nicht aber<br />
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