kostenfreier Download als PDF - Institut für Wirtschaftsforschung Halle
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<strong>Institut</strong> <strong>für</strong> <strong>Wirtschaftsforschung</strong> <strong>Halle</strong><br />
In seinem Werk „Weltbürgertum und Nation<strong>als</strong>taat“ stellt Friedrich Meinecke das<br />
Übernationale der (Weimarer) Klassik heraus. Es entstand die Überzeugung, inzwischen<br />
belächelt und <strong>als</strong> philiströse Einbildung abgetan, dass besonders die Deutschen <strong>für</strong> ein<br />
Wächteramt der Kultur ausersehen wären, es heroisch auf sich zu nehmen hätten – in<br />
Zeiten, wo ihr Gefahr droht von Tendenzen, die zum Großteil der englischen Ökonomie<br />
entstammen und eine Kulturkritik hervorbrachten, sowohl auf Seiten konservativromantischer<br />
<strong>als</strong> auch sozialistischer Reaktion:<br />
1. Der Markt verlässt seine Sphäre und trampelt wie „Frankenstein“ über das bislang<br />
unberührte Feld der Kulturgüter. Sie werden dem Preis- und Tauschmechanismus<br />
unterworfen und verlieren ihre Aura. Ein fortwährender Prozess der Entleerung von<br />
Kultur habe eingesetzt – dort, wo man noch Lebenssinn sucht (Marx, Nietzsche,<br />
Adorno).<br />
2. Kulturkritisch wird bemerkt, dass sich die Zweck-Mittel-Relation umkehre: Mittel<br />
werden zu Endzwecken. Information wird zum Selbstzweck, zur Massenpsychologie.<br />
Wahlkampf ist der Versuch, die eigenen Lügen attraktiver erscheinen zu lassen <strong>als</strong><br />
die der Gegner. Der zivilisatorische Fortschritt banalisiert sich: Ein Heer von Chemikern<br />
und Technologen ist am Werk, nur damit eine Bauersfrau in einem Kramladen<br />
nach diesem und nicht nach jenem Kopftuch greift, so Georg Simmel.14<br />
3. Der Staat der Industriekultur macht aus sozialer Ordnung eine Bürokratie; er verwaltet<br />
die zur Freiheit bestimmte Menschennatur. Bürokratie und Technik verhindern,<br />
dass ein ganzheitliches, zur Fortentwicklung der Kultur fähiges Menschenwesen entsteht.<br />
Es ist gefangen in einem „Gehäuse der Hörigkeit“ (Max Weber).<br />
Lassen wir es Schumpeter noch einmal deutlich sagen:<br />
„Der bewusste schmerzfliehende und lustsuchende Wille des Individuums ist der wissenschaftliche<br />
Kernpunkt dieses streng rationalistischen und intellektualistischen Gesamtsystems<br />
von Philosophie und Soziologie, das unerreicht in seiner Kahlheit, Flachheit und<br />
in seinem radikalen Missverstehen alles dessen, was den Menschen bewegt und die Gesellschaft<br />
zusammenhält, schon den Zeitgenossen und dann noch mehr den Späteren […]<br />
ein Gräuel war.“15<br />
Die deutsche Kulturkritik hat den Antikapitalismus der sozialethisch argumentierenden<br />
Kathedersozialisten in sich aufgenommen. Man sieht ihr noch an, dass sie die Marx‘sche<br />
Kritik an Kapitalverwertung verinnerlicht hat. Der Zwang aber, Kulturgüter fortgesetzt<br />
in Tauschobjekte zu verwandeln, bringt die klassische deutsche Sozialökonomik auf die<br />
Fährte Friedrich Nietzsches: Materialistische Aufklärung und das von ihr entfesselte<br />
Individuum, das über Herdentier-Mentalität doch nicht hinausfindet, seien Sendboten<br />
des europäischen Nihilismus, der einen Neuanfang erzwingt.<br />
14 Vgl. Schmid (1974).<br />
15 Schumpeter (1924), S. 63 f.<br />
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