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Eine computerlinguistische Untersuchung des Genitivschwundes

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6. Diskussion<br />

die Eindeutigkeit der Funde bei Goethe kann nicht bewiesen werden und auch die<br />

konkurrierenden Fälle geben keinen Aufschluss hierüber.<br />

Bezieht man sich, bei näherer Betrachtung der adverbalen Genitive, auf die in der<br />

Auswertung beschriebene Konkurrenzsituation, so sollte man beachten, dass über den<br />

Partivitätseffekt und den Verlust der Aspektkategorie hier nicht mehr zu argumentieren<br />

ist. Denn wie im Abschnitt über die Ursachen für den Genitivschwund im zweiten<br />

Kapitel bereits aufgeführt wurde, fanden diese Phänomene bereits in der althochdeutschen<br />

beziehungsweise mittelhochdeutschen Zeit statt. Allerdings könnte die<br />

sekundäre Begleiterscheinung <strong>des</strong>sen – der Rückzug einiger adverbalen Genitive in<br />

bestimmte gehobene Stilschichten – für die unterschiedliche Benutzung der Verben<br />

verantwortlich sein. Die adverbalen Genitive bei Goethe sind alle eindeutig und auch<br />

der einzige adverbale Genitiv, der bei Timm gefunden wurde, kann als solcher gewertet<br />

werden, denn Hentschel (2010a) führt den Genitiv als Objekttyp <strong>des</strong> Verbs<br />

bedürfen auf. Auch die vielen adverbalen Genitive, die in „Der Tod in Venedig“ identifiziert<br />

wurden, sind zum Großteil eindeutig und bei den nicht-eindeutigen Fällen gibt es<br />

wenig Zweifel daran, dass diese eigentlich ein konkurrieren<strong>des</strong> Objekt darstellen.<br />

Auffällig ist, dass sich erinnern in Verbindung mit Genitiv steht, während erinnern mit<br />

Präpositionalobjekt erscheint. Bei Goethe hingegen kam sich erinnern bereits in<br />

konkurrierenden Konstruktionen vor. Betrachtet man sich erinnern bei Mann näher, so<br />

wird deutlich, dass im Gegensatz zu erinnern, sich erinnern mit Genitiv dann verwendet<br />

wird, wenn von den persönlichen positiven Erinnerungen Aschenbachs die Rede ist.<br />

Wird von negativen Erinnerungen gesprochen, so kommt erinnern mit Dativ zum<br />

Einsatz (siehe Mann, 1912). Die Verben stehen also in Konkurrenz und ferner in einer<br />

anderen Verteilung als zuvor, um als Stilmittel zu dienen und positive Empfindungen<br />

auf eine höhere Stilebene zu heben. In der modernsten untersuchten Novelle kommt<br />

erinnern sowohl reflexiv als auch nicht-reflexiv nur in konkurrierenden Formen zum<br />

Genitiv vor. Beim Verb schonen, welches in „Novelle“ sowohl mit Genitiv als auch Akkusativ<br />

auftritt, ist der Sprecherbezug nicht ganz deutlich. Man kann aber feststellen,<br />

dass die Wärterin und der Honorio lediglich Akkusativ benutzen, während das einzige<br />

Genitivvorkommen in Abhängigkeit von schonen nur beim Fürsten in einem Konditionalsatz<br />

zu finden ist (siehe Goethe, 1828). Dies deutet auch auf den Genitiv als<br />

Stilmittel für die gehobene Sprache <strong>des</strong> Fürsten hin, was allerdings durch die<br />

zusätzliche Benutzung <strong>des</strong>selben Verbs mit Akkusativ vom Fürsten abgeschwächt<br />

wird.<br />

Hinsichtlich der Frequenzen <strong>des</strong> adverbalen Genitivs wird deutlich, dass dieser heutzutage<br />

kaum noch verwendet wird, weil er von Goethe zu Timm bis auf 0 % sinkt. Da<br />

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