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Eine computerlinguistische Untersuchung des Genitivschwundes

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6. Diskussion<br />

unerhörte Begebenheit, die Rahmenerzählung und das Gespräch sind eindeutig vorhanden.<br />

Der abweichende Novellencharakter bei Mann könnte verantwortlich dafür sein, dass<br />

der Autor fast in jeder Kategorie deutlich mehr Genitive benutzt als die anderen, da er<br />

weniger nah an der Alltagssprache und näher an der gehobenen Sprache schreibt.<br />

Dies sei jedoch dahingestellt, denn die Novellenauszeichnung seines Werks stammt<br />

von ihm selbst und sein hoher Genitivgebrauch scheint wohl ebenfalls von ihm gewollt.<br />

Zudem kommen bei ihm durchaus umgangssprachliche Konstruktionen vor, denn es<br />

wird häufig die indefinite Lesart von welche gefunden, die als umgangssprachlich gilt<br />

(siehe Meinunger, 2008).<br />

Der Bezug zur Neuklassik, der in allen drei Novellen vorzufinden ist, ist bei Thomas<br />

Mann am stärksten. Nicht nur die häufigen Bezugsnahmen zu griechischen Göttern<br />

und Helden sowie Philosophen sind auffällig, sondern auch sein Schreibstil ist in dieser<br />

Hinsicht als neuklassizistisch zu deuten. Vor allem im 18. und 19. Jahrhundert waren<br />

Griechisch und Latein sehr angesehen und griechische Schreibweisen wurden adaptiert<br />

(siehe Meinunger, 2008). So erscheint bei Mann das Wort Stil in „Meisterhaltung<br />

NN unseres PPOSAT Styls NN“ (ven-output.txt: Z.592) in einer dem Griechischen<br />

nahegelegten Schreibweise. Die hier besprochene Novelle von Thomas Mann erschien<br />

zwar erst im 20. Jahrhundert, dennoch wird deutlich, dass er sich gerne an veralteten<br />

Normen orientiert. Dieser Rückbezug zur Antike könnte auch maßgeblich für seinen<br />

hohen Genitivgebrauch sein. Bei Goethe ist ein derartiger Bezug zur Antike oder zum<br />

Klassizismus nur in den lyrischen Abschnitten seiner Novelle zu erkennen, jedoch<br />

entstand „Novelle“ im Zeitrahmen der Klassik (siehe Aust, 2012). Bei Timm kann eine<br />

neuklassische Deutung nur auf interpretatorischer Ebene stattfinden.<br />

Thomas Mann wird häufig an deutschen Schulen unterrichtet mit dem Zweck, den<br />

Schülern seinen Stil näher zu bringen (siehe Kurzke, 2009). Es ist allerdings Goethe,<br />

der größte deutsche Dichter, der als Instanz der Normierer gewertet wird, womit vor<br />

allem die Vertreter <strong>des</strong> Dudens gemeint sind (siehe Meinunger, 2008). Somit ist gerechtfertigt,<br />

Goethe als standarddeutschen Referenztext einzustufen und Mann, da<br />

seine Novelle zeitlich später erschien, als von der Norm abweichend beziehungsweise<br />

diese übertreibend zu interpretieren. Es fand also kein Anstieg im Genitivgebrauch<br />

statt, bevor ein deutlicher Schwund auftrat.<br />

Abschließend kann ein deutlicher Genitivschwund innerhalb der letzten beiden Jahrhunderte<br />

mit Hilfe <strong>des</strong> erstellten Perlskripts gezeigt werden. Die Ergebnisse machen<br />

deutlich, dass der Gebrauch <strong>des</strong> Genitivs insgesamt von Goethe zu Timm zurückging,<br />

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