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Argumente 1/2010 - Jusos

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man selbst als Kind erworben hat. Die Sozialisation<br />

der Großeltern- und Elterngenerationen<br />

während der NS-Zeit ist eine<br />

nicht einfach „ablegbare“ Sozialisation. Sie<br />

kann nicht durch den Bezug auf eine<br />

„Stunde Null“ weg rationalisiert werden,<br />

weil sie Gefühle, Erinnerungen, Werte,<br />

Normen, Bindungen, Freundschaften und<br />

Identität beinhaltet. Eine Paradoxie, die<br />

kaum woanders anzutreffen ist. Ferner hat<br />

das Schweigen von Millionen einen Neuanfang<br />

für einen Staat eingeleitet, welcher<br />

zwar Sicherheit für die Bevölkerung, aber<br />

auch noch immer Unverständnis bei den<br />

Folgegenerationen aufkommen lässt und<br />

eine gesellschaftliche Aufarbeitung der<br />

Geschehnisse nur bedingt zulässt.<br />

Die BRD, auf der einen Seite, versuchte<br />

unter Konrad Adenauer ihre fehlende<br />

historische Legitimation durch ein antikommunistisches<br />

Glaubensbekenntnis und<br />

somit durch eine Annäherung an den Westen<br />

zu ersetzen. Der Antikommunismus<br />

wuchs zu einer Staatsdoktrin heran und<br />

verschaffte somit der Westdeutschen Bevölkerung<br />

ein ruhiges Gewissen. Schließlich<br />

war der noch nicht überwundene Stalinismus<br />

nach der Totalitarismustheorie<br />

(Vgl. Eschwege/Kwiet, 1984) ebenso<br />

furchtbar wie der Nationalsozialismus. So<br />

konnten die Nazi-Verbrecher/-innen in den<br />

öffentlichen Ämtern integriert anstatt entfernt<br />

und der Wiederaufbau des Landes<br />

ohne Gewissensbisse begonnen werden<br />

(Vgl. Traverso, 1993, S. 183). Erst in den<br />

sechziger Jahren, im Zuge des Eichmann-<br />

Tribunals in Jerusalem und der Gerichtsverhandlungen<br />

der Mörder und Mörderinnen<br />

der Jüdinnen und Juden in der Bundesrepublik,<br />

wurde sich mit Judenverfolgung<br />

und Antisemitismus auseinander gesetzt.<br />

Die ehemalige DDR, auf der anderen<br />

Seite, näherte sich dem Thema ganz anders.<br />

Mit dem Selbstverständnis, das durch<br />

die Untrennbarkeit von Antifaschismus<br />

und Sozialismus, die Wurzeln des Faschismus,<br />

des Nationalsozialismus, des Imperialismus,<br />

des Kapitalismus und des Antisemitismus<br />

überwunden wurden, besaßen die<br />

Themenbereiche des Antisemitismus und<br />

der Judenverfolgung der deutsch-jüdischen<br />

Geschichte, für DDR-Historiker keine<br />

Relevanz (Vgl. Kwiet, 1976). Entsprechende<br />

Literatur hielt sich in Grenzen. So<br />

schildert Helmut Eschwege in seiner Biografie<br />

Fremd unter Meinesgleichen die jahrzehntelangen<br />

Hindernisse, mit denen die<br />

SED seine Forschungen behinderte und zu<br />

zerstören versuchte. Das sein Buch Selbstbehauptung<br />

und Widerstand. Deutsche Juden<br />

im Kampf um Existenz und Menschenwürde<br />

1933-1945 erst 1984 und nur überarbeitet<br />

von Konrad Kwiet und nur in der BRD erscheinen<br />

konnte, stellt nur ein Beispiel für<br />

Schikanen der DDR-Regierung dar (Vgl.<br />

Eschwege, 1991). Wie in der Bundesrepublik<br />

fanden ernsthafte Auseinandersetzungen<br />

auch in der ehemaligen DDR erst zum<br />

Anfang der sechziger Jahre statt. Im Mittelpunkt<br />

stand hier jedoch die Behauptung,<br />

die Kommunistinnen und Kommunisten<br />

wären die eigentlichen Opfer des Nationalsozialismus<br />

gewesen.Von Jüdinnen und Juden<br />

war wenn überhaupt nur vereinzelt die<br />

Rede. Andere Annäherungen an die Vergangenheit<br />

wurden im Zuge der Auseinandersetzung<br />

mit Stalin hergestellt.<br />

Von einer gemeinsamen Erinnerungskultur<br />

in den beiden deutschen Staaten<br />

kann nicht die Rede sein. Dafür waren die<br />

Menschen zu sehr von einander getrennt –<br />

sozial, politisch und geografisch. Nach der<br />

„Wiedervereinigung“ Deutschlands, ausgelöst<br />

vom Historikerstreit, wurde langsam<br />

aber kontinuierlich ein „Schlussstrich“ unter<br />

die Vergangenheitsbewältigung gezo-<br />

44 Erinnerungskultur und Jugend – eine Bestandsaufnahme <strong>Argumente</strong> 1/<strong>2010</strong>

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