16,9 MB - RegJo
16,9 MB - RegJo
16,9 MB - RegJo
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
14 PRofeSSorengeSPRäch regjo südniedeRSAChsen regjo südniedeRSAChsen ProfeSSorengeSPRäch 15<br />
Prof. Axel Schneider: Ich bin seit 2009 Professor für Sinologie<br />
an der Georg-August-Universität Göttingen. Seit vielen Jahrenbeschäftigen<br />
mich vor allem Fragen der chinesischen Historiographie<br />
und ihrer Transformation in der Moderne. Lange Zeit setzte ich mich<br />
vor allem mit der modernen akademischen Historiographie in China<br />
und ihrer Stellung im kulturellen und politischen Gefüge auseinander.<br />
In den letzten Jahren habe ich mich dann verstärkt Fragen des modernen<br />
chinesischen Geschichtsdenkens und der Transformation seiner<br />
ehemals zentralen ethischen Funktion zugewandt.<br />
Prof. h.c. Peter Schulze: Ich beschäftige mich mit Fragen der<br />
vergleichenden Herrschaftslehre, fokussiert auf die innen- und<br />
gesellschaftspolitischen Entwicklungsprozesse in den postsowjetischen<br />
Gesellschaften Osteuropas unter besonderer Berücksichtigung<br />
der Russischen Föderation. Komplementiert wird dieses Interesse<br />
durch Fragen der internationalen Politik in ihrer Rückkoppelung auf<br />
diesen Raum. Zu diesen Themenkomplexen, die auch Strukturen und<br />
Entwicklungen der früheren Sowjetunion sowie des bipolaren Systems<br />
einschließen, sind zahlreiche Veröffentlichungen entstanden. Im April<br />
2012 wird ein neues Buch erscheinen: Gernot Erler/Peter W. Schulze,<br />
„Die Europäisierung Russlands – Moskau zwischen Modernisierungspartnerschaft<br />
und Großmachtrolle“.<br />
stärker auf vorrevolutionäre Traditionen bezieht, stellt man auch<br />
die Revolutionsgeschichte in Frage und damit den Herrschaftsanspruch<br />
der Kommunistischen Partei (KPCh). Vielen Chinesen ist<br />
gar nicht mehr einsichtig, wieso sie nach 1949 den Modernisierungsweg<br />
so gegangen sind wie sie ihn gegangen sind. Denn die<br />
chinesische Geschichte von der erzwungenen Öffnung 1842 bis<br />
1979 ist eigentlich eine Geschichte der Niederlagen. Und währenddessen<br />
steigt Japan zur Weltmacht auf. Japan, diese im Vergleich zu<br />
China kleine Nation im Osten, die zudem kulturell sich lange Zeit<br />
am chinesischen Vorbild orientierte, besiegte China im ersten chinesisch-japanischen<br />
Krieg 1895 – so also würde Deutschland von<br />
Helgoland geschlagen werden. Diese Niederlagen sind nach 1949<br />
durch eine Revolutionsgeschichte überschrieben worden, die einen<br />
Sinn stiftete und damit auch eine Perspektive für die Zukunft entwarf.<br />
Heute kommt die Frage auf, ob nicht die Kontinuität des Kaiserreiches<br />
das Chaos der Republik und damit die Machtergreifung<br />
der KPCh verhindert hätte. Und so versucht man sich nun historisch<br />
zu re-orientieren.<br />
Wie gestaltet sich in diesen Selbstfindungsprozessen das Verhältnis<br />
zum „Westen“, speziell zum Imperialismus der USA?<br />
Schulze: Das ist konjunkturabhängig. In den 90er Jahren unter<br />
Jelzin war es der sehnlichste Wunsch des postsowjetischen Russlands,<br />
in die westlichen Institutionen aufgenommen zu werden.<br />
Das ist ab 1993 und der Entscheidung zur NATO-Osterweiterung<br />
brüsk zurückgewiesen worden. Die USA sind nicht mehr als der<br />
Heilsbringer für den Erfolg des Transformationsprozesses betrachtet<br />
worden, sondern als ein Gegner – wenn auch nicht mehr als<br />
Feind. Das ist auch nicht mit dem späteren NATO-Russland-Rat<br />
überbrückt worden, der Russen und Amerikaner doch irgendwie<br />
zusammenhält. Das Vorgehen der Amerikaner beim Anti-Raketenschirm<br />
hat die gegenseitigen Beziehungen dann weiter vergiftet.<br />
Dennoch gibt es eine Häme Moskaus gegenüber der dahinsiechenden<br />
Supermacht, der man ebenso wie der NATO nichts<br />
mehr zutraut. Europa ist eine andere Geschichte. Es gab 2010 den<br />
Ansatz zu einer europäischen Sicherheitsgemeinschaft zwischen<br />
Merkel und dem damaligen russischen Präsidenten Medwedew: die<br />
Schaffung einer europäisch-russischen außen- und sicherheitspolitischen<br />
Institution. Aber bislang ist nicht viel passiert.<br />
Schneider: Im Grunde steht China seit 1842 in einem sehr gespaltenen<br />
Verhältnis zum Westen. Er ist mit seinem effizienten Gemeinwesen<br />
und der hohen Loyalität der Bürger einerseits ein Vorbild,<br />
dem man nacheifert. Demokratie etwa ist in China seit dem späten<br />
19. Jahrhundert das große Vorbild, Man kann auch im kommunistischen<br />
China nichts legitimieren, wenn es nicht irgendwie<br />
demokratisch begründet wird. Möge die Auffassung von Demokratie<br />
eine andere sein, aber Demokratie ist das Ziel. Andererseits ist<br />
der Westen ein Negativbild, weil er in seinen Formen der Modernität<br />
Phänomene zeigt, die China abstoßend findet und die auch seinem<br />
eigenen Verständnis als Kulturnation zuwider laufen. Wenn<br />
wir sehen, wie sich Europäer in China im 19. und 20. Jahrhundert<br />
benommen haben, wie China gedemütigt wurde, wie es bis heute<br />
zum Teil böswillig verzerrt dargestellt wird, das ist schon erschreckend.<br />
Kommen chinesische Investoren, heißt es: Oh Gott, die Chinesen<br />
kommen! Gleichzeitig möchte man aber ihr Geld. Diese verzerrte<br />
Darstellung Chinas paart sich mit der entsprechend auch<br />
sehr ambivalenten Darstellung des Westens in China.<br />
Die USA sind erst spät nach China gekommen, sie sind nicht<br />
so aggressiv aufgetreten und waren stärker ein Symbol für Demokratie.<br />
Das hat sich eigentlich erst 1949 mit der kommunistischen<br />
Machtergreifung verändert, als die USA vor allem infolge des Koreakriegs<br />
zum Bösewicht schlechthin avancierten, was sich dann<br />
nach 1978/79 wieder umkehrte. Ein Großteil der heute ins Ausland<br />
gehenden chinesischen Studierenden gehen in die USA. Wenn<br />
Sie sich die Größe Chinas und die heutige wirtschaftliche Macht<br />
vor Augen halten, dann können die gar nicht anders als Weltmacht<br />
sein. Aber sie haben eine Riesenangst davor, dass ihr kometenhafter<br />
Aufstieg zu ähnlichen Problemen führt wie der Aufstieg<br />
des wilhelminischen Deutschland, der das europäische Mächtegleichgewicht<br />
gestört hat. Daher hat China in den letzten 20 Jahren<br />
immer wieder klar gemacht: Wir haben vom Aufstieg Deutschlands<br />
und Japans gelernt, dass es friedlich geschehen muss. Das<br />
heißt, es gibt in China die große Angst vor einem durch den eigenen<br />
Aufstieg ausgelösten Krieg, den es aufgrund seiner relativen<br />
militärischen Schwäche kaum gewinnen kann. China hat erstens<br />
keine maritime Tradition, zweitens hat es riesige offene Flanken<br />
und dann gibt es intern Probleme mit den Minderheiten. Das Interesse<br />
bei der jetzigen militärischen Aufrüstung, die immer noch<br />
eine aufholende Nachrüstung ist, ist primär ein Interesse, gleichzuziehen<br />
und sich nicht mehr alles gefallen lassen zu müssen. Das<br />
ist das eine. Das andere ist die inzwischen enge wirtschaftliche Verzahnung,<br />
die zu einer wechselseitigen Abhängigkeit, aber gleichzeitig<br />
auch zu Ängsten führt, insbesondere in den USA. Dort ist<br />
die Haltung ganz klar in Richtung Mißtrauen und militärischem<br />
Containment umgeschlagen. Das hängt natürlich auch mit dem<br />
Umstand zusammen, dass die USA schwächer werden.<br />
Schulze: Das führt aber nicht zu einer weitergehenden Integration<br />
in Asien?<br />
Schneider: Doch, aber eher zu einer Gegenintegration. Die ASEAN<br />
ist ursprünglich wirtschaftlich motiviert gewesen, inzwischen aber<br />
auch sicherheitspolitisch. Man hat immer mehr Angst vor China,<br />
weil es natürlich auch mit seinen Milliarden wuchert, wenn man<br />
sich etwa anschaut, wie aktiv China in Afrika ist. Das wird so<br />
dargestellt, als sei habe man es in Afrika mit einem chinesischen<br />
Imperialismus zu tun. Verglichen mit unserer Politik von vor 150<br />
Jahren verhält China sich sehr viel besser, es bleibt erstaunlich viel<br />
von dem investierten Kapital auch in Afrika hängen. Aber um es<br />
noch einmal deutlich zu sagen: Diese Konfrontation, die heraufzuziehen<br />
scheint, ist keine Folge einer aggressiven chinesischen<br />
Außenpolitik – vielmehr hat China angesichts seiner Größe und<br />
inzwischen auch seiner wirtschaftlichen Potenz gar keine andere<br />
Wahl als auf der Weltbühne sehr viel präsenter zu sein.<br />
Schulze: Russland hingegen verfolgt keine neo-imperiale Politik,<br />
es ist ähnlich wie China Vertreter einer Status-Quo-Politik. Und<br />
wenn Veränderungen, dann nur, wenn man damit übereinstimmt.<br />
Kosovo war ein Problem, wo klar wurde: Der Westen nutzt uns<br />
aus. Ebenso in Libyen. Kaukasus-Krieg 2008: Die Georgier haben<br />
ihre Soldaten über Wochen verlegt. Wer saß da und hat alles beobachtet?<br />
Die OSZE. Die Russen haben den Aufmarsch genau beobachtet.<br />
Die Amerikaner wussten es, auch weil sie Ausbilder bei<br />
der georgischen Armee haben. Die Israelis wussten es, weil sie<br />
die Kampfpanzer der Georgier mit Nachtsichtgeräten ausgerüstet<br />
haben. Die Türkei wusste es, weil sie dort ebenfalls als Ausbilder<br />
tätig war. Gekauft wurde das gesamte Material der Georgier in der<br />
Ukraine, bezahlt von den Amerikanern und verschifft über die<br />
Türkei. Jeder wusste, dass der Krieg ausbricht. Warum die Amerikaner<br />
nicht reagiert haben, ist die offene Frage. Entweder haben<br />
die Georgier gegen die Interessen der Amerikaner gehandelt oder<br />
aber sie sind ermuntert worden, so zu handeln. Der EU-Bericht<br />
weist beiden Seiten eine Schuld zu, sieht aber die Angriffsintention<br />
ganz eindeutig bei den Georgiern. Was die Russen danach gemacht<br />
haben – mit der Anerkennung Abchasiens und Südossetiens – war<br />
ein Schritt gegen ihre eigenen Traditionen, nämlich die Schaffung<br />
von neuen Staaten ohne Konsens der Beteiligten. Eine Retourkutsche<br />
für das Kosovo.<br />
Sie haben angedeutet, dass das Bild von Russland und China<br />
teils stark verzerrt ist. Wo liegen die gravierenden Probleme?<br />
Schulze: Bei Russland spielt natürlich die Menschenrechtsproblematik<br />
und früher Tschetschenien eine große Rolle. Das ist abgeflaut,<br />
aber nicht, weil die Presse jetzt objektiver berichtet, sondern<br />
weil das Thema einfach abgenutzt ist. Deswegen waren die Protestaktionen<br />
ab dem 15. Dezember in Moskau ein Paradies für Auslandskorrespondenten.<br />
Da konnten die alten Themen wieder aktiviert<br />
werden.<br />
Schneider: Es gibt Medien, die wirklich schlecht informiert sind,<br />
und andere, die sehr einseitig berichten. Einfaches Beispiel: westliche<br />
Menschenrechtskritik an China. Es steht völlig außer Frage,<br />
dass es in China sehr viele Menschenrechtsverletzungen gibt –<br />
gemessen an dem Menschenrechtsverständnis, das wir öffentlich<br />
vertreten. Nur macht man sich mit solcher Kritik unglaubwürdig,<br />
weil sich unsere eigene Außenpolitik um Menschenrechte kaum<br />
kümmert. Zweitens werden Dinge nur sehr selektiv wahrgenommen.<br />
Ein Ai Weiwei, ein Salonkünstler, der passt wunderbar. Der<br />
tut einem selbst nicht weh und der kann auch noch Englisch.<br />
Wenn aber in China Netbooks in Fabriken unter Bedingungen hergestellt<br />
werden, die jeglichem Menschenrechtsverständnis widersprechen,<br />
dann kauft man diese hier trotzdem sehr gerne, weil<br />
sie so schön billig sind. Das wird in den Medien nicht thematisiert.<br />
Und es wird wirklich skandalös, wenn man Menschenrechtsverletzungen<br />
in China nicht wahrnimmt, weil man einfach zu<br />
faul ist. Zum Beispiel all die Prozesse gegen Menschen, die nach